Nur wenige auf der Welt inszenieren Politik so eindrücklich wie die Briten. Und an keinem Tag im Jahr ist das besser zu erleben als beim Verlesen des Regierungsprogramms durch den König. Was nach einer politischen Veranstaltung klingt, ist eine jahrhundertealte Zeremonie, gespickt mit Ritualen.
Dass der König während seines Auftritts ein Mitglied des Parlaments als Geisel nimmt und die Palastwache die Gänge nach Schwarzpulverfässern absucht, erinnert an jene Zeiten, als das Verhältnis zwischen Parlament und König noch weniger friedlich war.
Doch nach dem historischen Unterhaltungsprogramm folgt die politische Substanz. Der Monarch verliest im Oberhaus vor den versammelten Lords, Ladies und den Abgeordneten des Unterhauses die Ziele seiner Regierung.
Viele Projekte, aber Finanzierung offen
Der König deklinierte exakt 40 Gesetzesvorlagen, welche die neue Regierung in der kommenden Legislatur umsetzen will: Mehr Wirtschaftswachstum, weniger Wartezeiten im Gesundheitswesen, die Wasserqualität der Flüsse soll wieder besser werden, eine grüne Energiewende soll eingeläutet werden. Und britische Eisenbahnen könnten künftig wieder renationalisiert werden. Wann diese Pläne umgesetzt und wie sie finanziert werden sollen, blieb heute offen.
Die King’s Speech ist in dem Sinn kein verbindliches Programm, sondern eine Ankündigung. Eine zeremonielle Absichtserklärung. Umfächelt von Pomp und Prunk will der neue Premierminister zeigen, dass er seine Wahlversprechen in die Tat umsetzen will. Oder wenigstens der Prozess dazu in Gang setzt.
Rein zahlenmässig hat die neue Labour-Regierung eine eindrückliche Menge Gesetzesvorlagen verlesen lassen. Doch Pläne sind nicht dasselbe wie Erfolge. Ideen und Pläne können auf die lange Bank geschoben werden, aus Mangel an Geld versanden oder schlicht von anderen Ereignissen verdrängt werden.
Schonfrist neigt sich dem Ende zu
Der Auftakt der neuen Labour-Regierung hätte, was den Veranstaltungskalender betrifft, nicht idealer sein können. Erst der überwältigende Wahlsieg. Diesem folgte unmittelbar der erste Auftritt des neuen Premierministers Keir Starmer auf der Weltbühne in Washington am Nato-Gipfel. Am Mittwoch das «Histotainment» der «King’s Speech». Und am Donnerstag empfängt Grossbritannien über 50 europäischen Staats- und Regierungschefs der Europäischen Politischen Gemeinschaft zum Gipfeltreffen im Blenheim Palace in Woodstock.
Es sind glamouröse Veranstaltungen, welche den realen, politischen Alltag fast ein bisschen vergessen lassen. Doch die Schonfrist geht zu Ende. Labour hat die Wahlen mit dem Schlagwort «Change» gewonnen. Jetzt folgt die schwierige Aufgabe, diese Veränderung zum Besseren auch umzusetzen.