Von einem politischen Erdbeben, ja sogar von einer Schande berichten deutsche Medien: Das Landesparlament Thüringen hat dem bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) die Wiederwahl verwehrt. Völlig unerwartet wurde Thomas Kemmerich (FDP) dazu bestimmt, eine neue Regierung zu bilden – obwohl die FDP im Thüringer Landtag kaum eine Rolle spielt. Pikant: Ohne die AfD wäre der Coup nicht möglich gewesen, sagt SRF-Korrespondent Peter Voegeli.
SRF News: Warum schlägt die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen derart hohe Wellen in Deutschland?
Peter Voegeli: Der FDP-Politiker Kemmerich wurde nur dank Hilfe der AfD als Ministerpräsident gewählt. Das ist ein Dammbruch, eine Zäsur. Bisher hiess es von allen Parteien: Wir regieren nicht zusammen mit der AfD und wir lassen uns auch nicht von ihr wählen. Der Osten Deutschlands geht jetzt andere Wege.
Man liest von einem «politischen Beben». Ist das wirklich eine derart einschneidende Veränderung in der deutschen Politik?
Man muss sich anschauen, was hier abgelaufen ist: Die FDP hat nur fünf Sitze im 90-köpfigen Parlament und schaffte es nur um Haaresbreite in den Landtag. Und jetzt stellt sie den Ministerpräsidenten. Eigentlich wollten Linke, SPD und Grüne eine Minderheitsregierung unter dem bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow bilden. Die Linke hatte mit 31 Prozent die Wahl klar gewonnen.
Auch die CDU hat dieses Spiel ganz klar mitgemacht.
Jetzt wurde Kemmerich von der FDP, der gesamten AfD und dem grössten Teil der CDU gewählt. Das war kein Zufall, das war geplant. Die AfD hat geschlossen für den FDP-Mann gestimmt – obwohl sie einen eigenen Kandidaten aufgestellt hat, der 0 Stimmen erhalten hat. Und auch die CDU hat dieses Spiel ganz klar mitgemacht.
Thüringen hat nun einen Regierungschef, der mit Unterstützung der AfD gewählt wurde. Was bedeutet das für die künftige Regierungsarbeit?
Nach diesem Knall ist noch alles offen. Die FDP und die CDU haben zusammen nur 26 von 90 Stimmen in diesem Parlament. Sie brauchen also die 22 Stimmen der AfD. Diese möchte natürlich in die Regierung.
Vielleicht ist Thüringen im Moment nicht regierbar und es kommt zu Neuwahlen.
Nun wird es aber noch absurder: Der neu gewählte FDP-Ministerpräsident hat gesagt, er möchte mit der CDU, der SPD und den Grünen eine Minderheitsregierung bilden. Ich frage mich, warum SPD und Grüne das nach diesem Coup mitmachen sollten. Das letzte Wort ist darum noch nicht gesprochen. Vielleicht ist Thüringen im Moment nicht regierbar und es kommt zu Neuwahlen.
Das Gespräch führte Mario Sturny.