Die Regierungskrise in Österreich spitzt sich weiter zu. Sämtliche Minister der FPÖ sind zurückgetreten, nachdem Bundeskanzler Sebastian Kurz die Entlassung von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl beantragt hatte.
Am kommenden Montag wird das österreichische Parlament über einen Misstrauensantrag der Opposition gegen Kurz abstimmen, wie Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka mitteilte. Da die FPÖ weiter nicht ausschliesst, dabei gegen Kurz zu stimmen, ist eine Mehrheit gegen den Kanzler möglich.
Wie es nun weitergeht, ist nicht ganz klar. Licht ins Dunkel bringt die Chefreporterin der Wiener Stadtzeitung «Falter», Nina Horaczek.
SRF News: Wie geht es nun weiter mit der Regierung in Österreich?
Nina Horaczek: Das ist noch unklar. Die Stimmung in der konservativ-freiheitlichen Regierung ist ganz plötzlich von Honeymoon in einen Rosenkrieg gekippt. Wir betreten nun Neuland – mit dem angekündigten Misstrauensantrag gegen Kurz auch juristisch. Falls dieser durchkommt, ist unklar, wer danach regieren wird. Der Bundespräsident ist dann wohl am Zug. Wir sind sehr gespannt, wie wir aus diesem Schlamassel wieder herauskommen.
War der Rauswurf von Innenminister Kickl durch Kanzler Kurz der richtige Schritt?
Kurz blieb kaum etwas anderes übrig – auch wenn der deswegen erfolgte Rückzug der Freiheitlichen aus der Regierung und das angekündigte Misstrauensvotum für ihn einem Tanz auf dem Vulkan gleichkommen. Bedeutend wird nun sein, ob die Parteien direkt in einen Wahlkampf-Modus umschalten, oder ob sie daran arbeiten wollen, dass das Land nach dem angerichteten Chaos wieder etwas Stabilität bekommt.
Derzeit haben wir erst eine politische Krise in Österreich – noch keine Staatskrise.
Was würde ein erzwungener Rücktritt des Kanzlers für Österreich bedeuten?
Bundespräsident Alexander Van der Bellen müsste jemand anderen mit der Führung der Regierungsgeschäfte beauftragen. Theoretisch könnte das auch Kurz sein. Der Übergangskanzler braucht allerdings eine parlamentarische Mehrheit, weil sonst der nächste Misstrauensantrag unmittelbar folgt. Derzeit haben wir erst eine politische Krise in Österreich – noch keine Staatskrise. Wenn es jedoch zu einer totalen Blockadehaltung kommen sollte, wird es schwierig.
Experten und Beamte sollen jetzt für die zurückgetretenen Regierungsmitglieder der Freiheitlichen einspringen. Ist eine solche Regierung handlungsfähig?
Das ist nicht klar. Bundeskanzler Kurz möchte, dass sein ÖVP-Regierungsteam bis zu den Wahlen im Amt bleibt, zusammen mit den erwähnten Experten, welche die zurückgetretenen Freiheitlichen ersetzen sollen. Doch die Sozialdemokraten haben angekündigt, eine solche Regierung nicht zu unterstützen. Wenn schon, wollen sie eine Interimsregierung, die ausschliesslich aus Experten besteht, also auch der Bundeskanzler.
Die Österreicher sind schockiert – auch wenn wir ob der vielen Skandale rund um die FPÖ viel gewohnt sind.
Kann man sagen, dass die Video-Affäre um Vizekanzler Heinz-Christian Strache die österreichische Politik aus den Angeln gehoben hat?
Wir sehen zumindest ein Sittenbild, wie Politiker glauben, mit ihrer Macht spielen zu können. Das hat uns sehr schockiert, obwohl wir in Österreich mit den vielen Skandalen rund um die FPÖ in den vergangenen Jahren viel gewohnt sind. Doch die Unverfrorenheit Straches empört viele Österreicherinnen und Österreicher. Die FPÖ war jetzt zum dritten Mal in einer Bundesregierung – und zum dritten Mal wurde diese durch die Partei gesprengt.
Das Gespräch führte Raphaël Günther.