Der Tod des Afroamerikaners George Floyd, der bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis von einem weissen Polizisten getötet wurde, hat die Debatte um Rassismus in den USA erneut aufflammen lassen. Historiker Jürgen Martschukat forscht seit Jahren zur nordamerikanischen Geschichte der Gewalt. Er sagt: Die Ordnung in den USA sei weiss dominiert und rassistisch.
SRF News: Laut einer US-Studie kommt einer von Tausend schwarzen Männern in den USA durch die Polizei ums Leben. Gilt in den USA ein schwarzes Leben weniger als ein weisses?
Jürgen Martschukat: Ja. Meiner Meinung nach lassen sich die Willkür und dieses Exzessive nur so erklären. Die Obama-Präsidentschaft scheint dies noch befeuert zu haben. In vielen weissen Kreisen hat sich der Tenor etabliert, dass den Schwarzen wieder ihr Platz zugewiesen werden muss. Das kennen wir aus der Geschichte: Höhepunkte der Gewalt gab es oft nach Erfolgen der Bürgerrechtsbewegung, nach der Abschaffung der Sklaverei etwa.
Es erkranken auch viel mehr schwarze Menschen an Covid-19 in den USA. Warum hält sich das so stark mit dieser Gefahr für schwarzes Leben?
Die Covid-19-Krise spricht für die deutliche ökonomische und soziale Benachteiligung sehr vieler Afroamerikaner, die trotz des Entstehens einer schwarzen Mittelklasse extrem präsent ist. Schwarz zu sein bedeutet in aller Regel, ärmer zu sein und weniger Ressourcen zu haben. Es gab nach der Sklaverei die Zeit der Segregation, also dieser US-amerikanischen Form der Apartheid. Die brachte es mit sich, dass Afroamerikaner im Polit- und Rechtssystem kaum präsent und extrem benachteiligt waren. Das hat sich lange fortgeschrieben.
In vielen weissen Kreisen hat sich der Tenor etabliert, dass den Schwarzen wieder ihr Platz zugewiesen werden muss.
Wie erklären Sie sich das?
Ich meine, Rassismus ist das eine Phänomen, also der Versuch, Bevölkerungen einzuteilen. Strukturen sind da sehr wichtig. Dann glaube ich, dass diese Verbindung, die oft hergestellt wird, von schwarz sein gleich erstens weniger wert sein und zweitens – bei Männern – gefährlich sein, extrem hartnäckig ist und in diesem System offensichtlich immer wieder bestätigt wird. Und in den letzten Jahren gibt es eine extreme politische Polarisierung. Die Leute, die an der Spitze der Politik stehen, tun nicht unbedingt etwas dagegen. Das ist eine Summe an Faktoren, die das fest in das gesellschaftliche Denken einschreibt.
Die Polizei-Kultur ist in den USA etwas anders als in Europa. Was spielt sie für eine Rolle bei den Übergriffen auf Schwarze?
Die Polizei in den USA zeigt häufig ein extrem martialisches Vorgehen. Und es gibt einen ausgeprägten Korps-Geist. Dadurch werden Gewalt und Rassismus in der Polizei immer wieder vertuscht.
Wir wissen seit Jahren, dass Polizeiarbeit viel besser funktioniert, wenn sie nicht wie eine immer noch weiss dominierte Besatzungsmacht rüberkommt.
Was wir auch oft sehen, ist, dass die Zusammensetzung der Polizeikräfte kaum der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung entspricht. Dabei wissen wir seit Jahren, dass Polizeiarbeit viel besser funktioniert, wenn sie nicht wie eine immer noch weiss dominierte Besatzungsmacht rüberkommt. Doch die Polizei scheint ihre Funktion stark in der Aufrechterhaltung der Ordnung zu sehen. Und diese Ordnung ist weiss dominiert und rassistisch.
Die Geschichte ist dunkel, die Gegenwart auch nicht viel heller. Sehen Sie irgendwo eine Aussicht auf eine positive Entwicklung?
Ich will nicht aufhören, daran zu glauben. Auch weil wir damit das Engagement der Menschen, die dafür tagtäglich kämpfen, unterstützen müssen. «Black Lives Matter» zum Beispiel ist eine sehr präsente und wichtige Organisation. Aber manchmal überkommen einen schon arge Zweifel. Da schwindet manchmal schon die Hoffnung.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.