Minneapolis ist das Epizentrum der Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA. Jetzt hat die Stadt angekündigt, ihre Polizeikräfte grundlegend zu reformieren. «Wir werden unser vergiftetes Verhältnis zu diesem Polizeidepartement beenden. Die heutige Polizei wird es nicht mehr geben», sagte Lisa Bender, Stadträtin von Minneapolis.
Die Reform des Polizeiwesens ist eine zentrale Forderung der Protestbewegung «Black Lives Matter». Zahlreiche Aktivistinnen und Aktivisten fordern sogar: «Defund the Police» («Dreht der Polizei den Geldhahn zu»).
Prävention statt Repression
In diversen US-Städten gebe es nun Vorstösse, genau das zu tun, berichtet SRF-Korrespondentin Isabelle Jacobi: «Der Bürgermeister von Los Angeles verspricht zum Beispiel, das Polizeibudget um bis zu 150 Millionen Dollar zu kürzen.» Das Geld soll in soziale und psychiatrische Dienste verschoben werden, also in die Gewaltprävention. Ähnliche Pläne gibt es in New York, San Francisco, Baltimore und Philadelphia.
Doch um einen Quasi-Rückzug der Polizei gehe es nicht, erklärt Jacobi. «Diese Städte haben substanzielle Polizeibudgets, die seit Jahren wachsen.» Los Angeles gibt im laufenden Jahr 1.8 Milliarden Dollar für die operativen Tätigkeiten der Polizei aus. «Wir sprechen also von einer Kürzung von maximal 8 Prozent.»
Wahlkampfthema «Law and Order»
Auf der Strasse werden die Massnahmen begrüsst. Bei Amerikanern, die den Protesten skeptisch gegenüberstehen, dürften sie aber auf wenig Gegenliebe stossen. Polizeireformen seien immer eine Gratwanderung in den USA, so die Korrespondentin. «Denn die Bürgerinnen und Bürger reagieren äusserst empfindlich, wenn sie sich nicht mehr sicher fühlen.»
Im Präsidentschaftswahlkampf könnte sich «Defund the Police» als dankbares Thema für Präsident Donald Trump und die Repulikaner erweisen, schätzt Jacobi. Bereits schüren «Law and Order»-Politiker die Angst vor rechtsfreien Räumen. «Die Polizei nicht mehr zu finanzieren wäre gut für Vergewaltiger und Diebe», twitterte der Senator Bill Cassidy. Auch aus dem Weissen Haus kommen schrille Töne:
Die Demokraten wissen, wie heikel das Thema ist. «Im US-Kongress sprechen sie bewusst nicht von Sparmassnahmen», so Jacobi. Mit einer Gesetzesvorlage wollen sie nun erreichen, dass polizeiliches Fehlverhalten einfacher strafrechtlich verfolgt werden kann.
Ausgang ungewiss
Polizisten, in deren Gewahrsam jemand stirbt, sollen rechtlich weniger geschützt sein. Man muss ihnen nur noch Fahrlässigkeit nachweisen, nicht Absicht. Zudem soll eine nationale Datenbank für delinquente Polizisten entstehen. «Derzeit können sie einfach das Departement wechseln – und ihr Leumund ist wieder sauber», sagt Jacobi.
Der designierte Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Joe Biden, sprach sich klar gegen drastische Kürzungen bei der Polizei aus. Vielmehr unterstütze er, Bundesmittel an Bedingungen zu knüpfen – nämlich daran, ob die Polizei «bestimmte grundlegende Standards von Anstand und Ehrenhaftigkeit» erfülle. Konkreter wurde er nicht.
Die Korrespondentin bleibt skeptisch, ob die USA an einem echten Wendepunkt stehen. «Mit Polizeireformen geht es oft so wie mit Waffengesetzen nach Amokläufen: Es passiert ein schreiendes Unrecht, die Wut und Empörung ist gross, alle rufen nach Reformen. Dann legt sich der Protest, die Reformen versickern und die Polizeibudgets wachsen wieder.»