«Als Polizist lebst du gefährlich. Es gibt zu viele Waffen in den USA – du musst immer auf alles gefasst sein», sagt Scott Dahlquist. Er hat 26 Jahre lang Dienst getan, als weisser Polizist im Norden von Minneapolis, wo mehrheitlich Schwarze leben. Und stets habe er eine schwelende Spannung gespürt, eine Feindseligkeit.
Diese Feindseligkeit kommt nicht von ungefähr: Laut einer Untersuchung werden in Minneapolis Schwarze neunmal häufiger wegen Bagatelldelikten angehalten als Weisse. Er wisse dies, sagt Dahlquist, und er kenne die dunklen Kapitel der US-Geschichte.
Angst und Ignoranz
Er sei stets so höflich gewesen und so korrekt wie nur möglich. Aber: Einige seiner weissen Kollegen verhielten sich leider anders, aggressiver, gibt Dahlquist zu. Dahinter stecke meist Angst und Ignoranz. Mehr will er aber nicht sagen über seine ehemaligen Kollegen.
Der Soziologe Rashawn Ray hat in unzähligen Interviews Einstellungen und Ängste von Polizisten gegenüber Schwarzen untersucht. Der schwarze Körper wirke auf viele Weisse bedrohlich, wie eine Waffe, und dies aktiviere die alten Vorurteile, dass schwarze Männer gewalttätig, kriminell, unberechenbar seien und deshalb eine potenzielle Gefahr für den Polizisten darstellten. Diese uralte Angst erkläre, weshalb unbewaffnete Männer mit dunkler Hautfarbe dreieinhalb mal häufiger in Polizeigewahrsam sterben als Weisse.
Die frühere Polizeichefin von Minneapolis, Janeé Harteau, bestätigt, dass diese tief verwurzelten Einstellungen in Polizeikorps verbreitet seien. Sie liessen sich nicht so schnell aus der Welt schaffen. Aber es brauche als Gegengewicht eine Kultur, in der klar sei, dass alle Menschen mit Respekt behandelt werden müssten.
Nur leider lasse sich diese nicht einfach mit Konzepten und Kursen von oben her aufzwingen. Es brauche mutige Polizisten, die einschritten und nicht einfach wegschauten, wenn Kollegen Grenzen überschreiten.
Den grössten Einfluss auf die Dienstkultur hätten aber die Polizeigewerkschaften, sagt Harteau aus eigener Erfahrung. Diese überwachten nicht nur die Arbeitsbedingungen, sondern hätten vor allem übermässigen Einfluss auf Disziplinarverfahren. Konsequent stellten sie sich schützend vor Polizisten, selbst wenn deren Vergehen äusserst gravierend seien.
Der Chef der Polizeigewerkschaft von Minneapolis, Robert Kroll, schrieb letzte Woche in einem Brief an seine Mitglieder: George Floyd sei selbst schuld an seinem Tod. Soziologe Ray, der selber aus einer Polizisten-Familie stammt, bestätigt die grosse Macht der Polizeigewerkschaften. Sie könnten ihre Mitglieder bei Vergehen fast vollständig vor juristischen und finanziellen Konsequenzen abschirmen.
Und wer wegen Fehlverhalten dennoch entlassen werde, könne dank der Gewerkschaften in einem anderen Korps problemlos wieder eine Stelle finden. Ray ist wie viele andere Fachleute überzeugt, dass die Macht der Polizeigewerkschaften beschnitten werden muss.
Ansetzen müsse man aber auch bei den Entschädigungszahlungen für die Opfer von Polizeigewalt. Künftig sollten die Polizei-Departemente dieses finanzielle Risiko selber tragen und nicht der Steuerzahler, findet Ray. Die Polizeichefs könnten es sich dann nicht mehr leisten, Polizisten in den eigenen Reihen zu dulden, die für hohe Entschädigungsleistungen verantwortlich sind. Doch dieser Vorschlag ist umstritten – nicht zuletzt bei den Polizeigewerkschaften.