Am Sonntag fällt die Entscheidung bei den Präsidentschaftswahlen in Brasilien. Präsident Bolsonaro ist nach der ersten Wahlrunde zwar mit fünf Prozentpunkten im Rückstand, doch sein politisches Umfeld ist gestärkt. Viele seiner engsten Verbündeten wurden vor Monatsfrist in den Kongress gewählt. So verdreifachte Bolsonaros ultrarechte Partei ihr Ergebnis und ist jetzt stärkste Kraft.
Sogar Bolsonaros Kontrahent Lula gibt zu, dass er bei einem Sieg nur schwer regieren könnte. «Wir werden ein Problem haben: Wir gewinnen die Wahl, besiegen Bolsonaro, aber der Bolsonarismus existiert bereits.» Danach müsse mit der Bevölkerung gearbeitet werden, damit der Bolsonarismus keine längerfristige politische Strömung werde, wie dies die extreme Rechte auch in anderen Ländern versuche.
Der neue Kongress liefert eindeutigen Fakten
Der brasilianische Kongress ist seit der Parlamentswahl vor einem Monat ein Sammelbecken von treuen Verbündeten Bolsonaros: Glanzresultate erhielten Abtreibungsgegnerinnen und Waffenfanatiker.
Gewählt wurden Hardliner: Der ehemalige brasilianische Umweltminister, welcher den Amazonas abholzen und ausbeuten will. Der ehemalige brasilianische Gesundheitsminister, der 700'000 Corona-Tote mitzuverantworten hat. Beobachterinnen und Beobachter sprechen von einer ultrarechten Welle, die über ganz Brasilien hinweggefegt sei.
Viele Wählerinnen und Wähler haben aber offenbar keine Probleme mit Bolsonaros Angriffen auf Wissenschaft, Umwelt und Minderheiten. Im Gegenteil – sie scheinen sie zu befürworten.
Warum ist Bolsonaro so beliebt?
Der Sozialwissenschaftler Flavio Corado sieht zwei Gründe für den grossen Rückhalt Bolsonaros: Als er vor vier Jahren gewählt wurde, befand sich Brasilien in einer Krise. Die Rezession frustrierte die Bevölkerung und die linke Arbeiterpartei versank im Korruptionssumpf.
Zugleich sei diese Wut auf die Linken aber nicht alleine ausschlaggebend für Bolsonaros Sieg gewesen, sondern auch eine «moralische Panik», sagt Corado. Er erinnert an die Themen Legalisierung der Abtreibung, Homo-Ehe und die Freigabe von Drogen: «Vielen gehen diese gesellschaftlichen Entwicklungen zu schnell und widersprechen ihren Werten.» Diese Leute habe Bolsonaro damals und auch jetzt wieder abgeholt. Die Linke habe riesige Probleme, darauf zu antworten.
Klare Absage auch an «Gender-Sachen»
Viele Brasilianerinnen und Brasilianer, die sich lange Zeit von der politischen Debatte ausgeschlossen fühlten, sehen sich in Bolsonaro wieder. So bestätigte der Präsident in einer TV-Debatte, seine Regierung werde nicht über Abtreibung und Drogen diskutieren.
Auch weitere Rechte für sexuelle Minderheiten und die Gender-Ideologie seien kein Thema für die Regierung: «Diese Gender-Sachen, die den Mädchen in den Kopf setzen, dass sie Jungs sein können und umgekehrt. Das wollen wir nicht», sagte Bolsonaro und verabschiedete sich mit den Worten: «Vielen Dank. Gott, Vaterland, Familie und eine Umarmung für Euch alle!»
Lula bleibt also rechnerisch der Favorit für den Sieg am Sonntag. Er erhielt in der ersten Wahlrunde sechs Millionen mehr Stimmen als sein Gegner. Wenn Bolsonaro am Sonntag nicht wiedergewählt wird, ist das allerdings nicht das Ende des «Bolsonarismus». Die Bewegung ist grösser als Bolsonaro.