Am Sonntag geht es bei der Präsidentschaftswahl in der grössten Volkswirtschaft Südamerikas um die Frage: Wohin steuert Brasilien? Zur Wahl stehen der amtierende, ultrarechte Präsident Jair Bolsonaro. Und der linke Ex-Präsident Lula da Silva. Ihr Zweikampf steht für den Konflikt zwischen einer konservativen und einer progressiven Weltanschauung. Diese Spaltung zeigt sich speziell im Süden des Landes.
Bolsonaro-Anhänger unter der deutschstämmigen Bevölkerung
Eine Tanzkapelle macht Stimmung. Wir sind am Oktoberfest in Blumenau, einer Kleinstadt im Süden Brasiliens. Die Melodie ist eingängig, die Tischdecken rot-weiss kariert und die Kellner tragen Lederhosen. Eine Szene wie in München. Nur: Gesungen wird portugiesisch.
Blumenau: Das ist die Stadt mit dem grössten deutschstämmigen Bevölkerungsanteil in Brasilien. Und auch die Stadt mit der grössten Bolsonaro-Begeisterung im Land. Über 87 Prozent haben vor vier Jahren den ultrarechten Kandidaten gewählt.
Caren Pfiffel (67) will es am Sonntag wieder tun. Sie sagt: «Bolsonaro baut viele Strassen und Brücken. Er macht seine Arbeit.»
Eine leicht abgenutzte Holztreppe führt hinauf ins Sitzungszimmer des Kulturzentrums Blumenau. Hier werden die 30 Prozent der deutschstämmigen Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt vertreten. Blumenau wurde vor 170 Jahren von deutschen Einwanderern gegründet.
Der Präsident des Kulturzentrums, Dieter Berner, ist hier in Blumenau aufgewachsen, seine Vorfahren stammen aus Stuttgart. Der 59-jährige Autohändler wählt am Sonntag Bolsonaro. Er sagt: «Lula hat das Land total kaputt gemacht. So geht es nicht. Du kannst nicht Geld verteilen, wenn du keines hast. Das hat Lula, als er vor 20 Jahren schon einmal Präsident war, gemacht.»
Ein anderes Brasilien nur wenige Autostunden entfernt
Hier im traditionell konservativen Süden Brasiliens bleibt der linke Ex-Präsident Lula für viele unwählbar. Anders ist es im Rest des Landes: Alle Umfragen deuten darauf hin, dass der 76-jährige Lula die Wahlen gewinnen wird.
Nur eineinhalb Stunden Autofahrt von Blumenau entfernt, sind wir in einem anderen Brasilien.
Am Rand der Kleinstadt Araquari leben 150 Familien auf einem etwas trostlosen, staubigen Grundstück. Landlose Kleinbauern, die diese ungenutzten Felder seit vier Jahren besetzen.
Lula unterstützt die Armen und Landlosen.
Lula da Silva und seine linke Arbeiterpartei gelten als Verbündete der Landlosenbewegung. Kleinbauern sollten ungenutztes Land bewirtschaften und davon leben können. «Lula unterstützt die Armen und Landlosen.» Sagt die Bäuerin Leia Lago. «Darum geben wir ihm unsere Stimmen. Er ist genauso einfach wie die Leute, die hier auf dem Feld arbeiten.»
Von Bolsonaro hingegen halten die Bauern hier nichts: Im Wahlkampf hat der Präsident die Landlosenbewegung als terroristische Gruppe bezeichnet.
Zwei Welten – ein Land: Brasilien ist vor den Wahlen so tief gespalten wie nie zuvor.