Der Wahlleiter von Georgia, Gabriel Sterling, sorgte national für Aufsehen, als er Anfang Dezember in einer Medienkonferenz Donald Trumps Behauptung widersprach, es habe Wahlbetrug gegeben. Zudem forderte er Trump in deutlichen Worten auf, mässigend einzuwirken auf seine Anhängerschaft, die Sterling und andere Wahlverantwortliche in Georgia mit dem Tod bedrohten. Wie es ihm heute geht, erzählt er im Interview.
SRF News: Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen als sie am 6. Januar die Bilder von der Gewalt von Trump-Anhängern im Kapitol sahen?
Gabriel Sterling: Das war das schlimmstmögliche Szenario dessen, wovor ich im Dezember gewarnt hatte – nämlich, dass Menschen mit Desinformation und Lügen angestachelt werden, dass mit ihren Gefühlen gespielt wird. Dass es so schlimm enden würde, habe ich aber nicht erwartet. Was im Kapitol passierte, war beängstigend und mir wurde richtiggehend schlecht als ich die Fernsehbilder sah.
Sie hatten im Dezember davor gewarnt, dass es Gewalt und Todesopfer geben werde. Wie fühlt es sich an, dass sie recht hatten mit ihrer Voraussage?
Dafür finde ich keine passenden Worte. Menschen wollen natürlich recht haben, aber doch nicht mit sowas. Denn es ist nur noch frustrierend, wenn so etwas passiert. Ich wünschte, man hätte meinen Rat befolgt. Allerdings machte ich mir keine Illusionen, dass der eigensinnige Präsident der USA einem kleinen Wahlleiter in Georgia zuhört.
Ich hoffte, dass mein Auftritt wenigstens dazu beiträgt, die Verschwörungstheorien rund um die Wahl allmählich zu entkräften und das Vertrauen in die Wahlbehörden zu stärken. Ich hoffe, dass meine Worte ein Warnschuss waren, um die Menschen daran zu erinnern, wie verletzlich selbst die älteste Demokratie der Welt ist.
Was war der Auslöser, dass Sie am 1. Dezember mit deutlichen Worten das Verhalten von Präsident Trump angeprangert haben?
Zuvor hatten Georgias Staatssekretär Raffensberger und ich schon Todesdrohungen erhalten. Das ist zwar schrecklich, aber damit muss man heutzutage leben können, wenn man in der Öffentlichkeit steht.
Was dann aber das Fass zum Überlaufen brachte, war das Vorgehen von QAnon-Anhängern: Sie filmten einen erst 20-jährigen Wahlmitarbeiter bei der Arbeit und behaupteten dann im Internet zu Unrecht, sie hätten ihn beim Wahlbetrug ertappt. Über Twitter verbreiteten sie seinen Namen und seine Wohnadresse und fügten das Bild einer baumelnden Henkersschlinge hinzu. Darauf musste er untertauchen, die Familie des jungen Mannes wurde belästigt und bedroht. Da ist bei mir eine Sicherung durchgebrannt.
Vermutlich hat sich in den Tagen zuvor auch der Frust aufgestaut bei mir. Das ist dermassen unfair, gefährlich und unamerikanisch! Ich bin unvorbereitet vor die Mikrofone getreten, wusste aber, dass ich als Wahlleiter nun Stellung beziehen musste.
Eine Mehrheit der Republikaner widerspricht Donald Trump bis heute nicht, wenn er behauptet, ihm sei der Sieg durch Wahlbetrug gestohlen worden. Was sagen Sie diesen Parteifreunden?
Volksvertreter dürfen keine Wetterfahnen sein. Wir werden gewählt, weil man von uns moralische Integrität und Urteilsvermögen erwartet. Hier darf es keine Abstriche geben, nur weil man sich um die Wiederwahl fürchtet. Der 6. Januar hat gezeigt, was passiert, wenn Politiker nicht für die Wahrheit eintreten.
Wer sich in der Partei derzeit öffentlich gegen Donald Trump stellt, wird isoliert und bedroht. Können sich die Republikaner wieder von Trump loslösen?
Das braucht wohl einige Zeit. Trump hat noch immer einen enormen Einfluss in der Partei. Denn er hat eine emotionale Bindung zur Parteibasis aufbauen können, wie es sie seit Ronald Reagan nicht mehr gegeben hat. Die daraus entstandene Macht wird er wohl nicht so schnell aufgeben, denn die Menschen hören noch immer auf ihn und sind bereit, Geld zu spenden. Doch wenn er seine Anhänger anstachelt, nützt das nur ihm, nicht aber dem ganzen Land.
Sie haben selbst zweimal Donald Trump gewählt. Sehen Sie sich heute - nach all dem was vorgefallen ist - noch immer als Republikaner?
Ich bin und bleibe Republikaner.
Das Gespräch führte Matthias Kündig.