Emmanuel Macron bleibt Präsident Frankreichs, Marine Le Pen hat die Wahl erneut verloren. Doch das bedeute keineswegs das Ende der politischen Karriere der rechtsnationalen Politikerin, sagt Tanja Kuchenbecker. Sie hat eine Biografie über Le Pen geschrieben.
SRF News: Warum hat es nicht gereicht für Marine Le Pen?
Tanja Kuchenbecker: Dafür gibt es viele Gründe. Zum einen hat der Rechtspopulismus in Frankreich in den letzten Jahren und Jahrzehnten zugelegt. Trotzdem gibt es aber noch nicht so viele Franzosen, die Le Pens Interessen teilen. Dazu kommt, dass Le Pen zwar eine Strategie der «Ängste-Immunisierung» gefahren hat – eine Art Normalisierung ihrer Partei.
Wer im ersten Wahlgang für andere Parteien gestimmt hatte, hat sich jetzt eher für Macron als für Le Pen entschieden.
Aber letztendlich scheinen ihr das doch viele Wählerinnen und Wähler nicht abgenommen zu haben. Vor allem jene, die im ersten Wahlgang für andere Parteien gestimmt haben, haben sich dann doch eher für Macron als für Le Pen entschieden.
Marine Le Pen selbst spricht bei ihrem Abschneiden von einem Sieg. Sie hat rund acht Prozentpunkte zugelegt im Vergleich zur Stichwahl vor fünf Jahren. Was hat sie in diesem Wahlkampf für die Rechtspopulisten in Frankreich erreicht?
Sie hat die ganze rechte Front wählbar gemacht. Ausserdem hat sie gezeigt, dass sie selbst in irgendeiner Form führen kann. Zwar ist sie noch nicht so weit, dass sie das höchste Amt im Staat übernehmen könnte. Aber sie ist eine der wichtigsten Frauen in Frankreich geworden und hat damit auch ihre Ideen durchgesetzt.
Marine Le Pen hat ihre Ideen durchgesetzt.
Emmanuel Macron sagt immer, er werde auch auf die Wähler von Le Pen und die anderen, die nun für ihn, vorher aber für andere Parteien gestimmt haben, eingehen. Das heisst, er muss in irgendeiner Form mit Le Pen und ihren Ideen, aber auch mit ihren Wählern und deren Wünschen und Nöten rechnen.
Le Pen hat zum zweiten Mal gegen Macron in der Stichwahl verloren. Wie geht es mit ihrer politischen Karriere weiter?
Ich war am Sonntag beim Wahlabend von Le Pen. Da war natürlich erst eine riesige Enttäuschung. Als sie dann gesprochen hat – dynamisch, energisch und in die Zukunft blickend –, war der Jubel dann doch gross. Sie blickt auf die Parlamentswahlen, die im Juni stattfinden und hofft, da gut abschneiden zu können.
Le Pen hofft, bei den Parlamentswahlen im Juni gut abzuschneiden.
Die extremen Rechten hoffen, sich in irgendeiner Form verbinden zu können, um dort zu punkten. Und dass es möglicherweise zu einer Cohabitation kommt, also dass es einen Premierminister gibt, der nicht aus Macrons Reihen kommt. Das ist eher unwahrscheinlich, denn bisher hat Le Pen in den Parlamentswahlen nie so gut abgeschnitten, was auch am französischen Wahlsystem liegt.
Sie gehen auch davon aus, dass Le Pen trotz der Niederlage weiterhin ihre Partei, das Rassemblement National, anführen wird, weil man einfach an ihr nicht vorbeikommt?
Ja, auf jeden Fall. Das hat sie gestern Abend auch auf der Bühne strahlend gesagt: «Ich werde weiter für die Franzosen und Frankreich arbeiten.» Ihr Blick sei dabei stark auf die Parlamentswahlen gerichtet. Ein wichtiger Grund dafür ist auch, dass es im Moment niemanden gibt, der sie an der Spitze des Rassemblement National ersetzen könnte. Marine Le Pen ist die Partei.
Das Gespräch führte Susanne Stöckl.