«Order, Order», schrie John Bercow, der Präsident des Unterhauses, auch am Montag wieder durch das britische Unterhaus. Der Parlamentspräsident verkündete heute nach Mitternacht eine erneute Niederlage der Regierung. Das Unterhaus lehnt Boris Johnsons Antrag auf Neuwahlen ab.
Johnson greift durch
Doch was gestern auf Twitter mehr Emotionen auslöste als dieses Resultat, war der Rücktritt von John Bercow. Der 56-Jährige gehört der konservativen Partei an, aber in seiner Rolle als «Speaker» muss er parteiunabhängig agieren. Doch im Brexit-Streit zwischen der Regierung und dem Parlament hat er eine eigenwillige Rolle gespielt. Erst vergangene Woche ermöglichte er der Opposition, ein Gesetzgebungsverfahren gegen den Willen der Regierung einzuleiten. Nicht zuletzt deshalb wurde Bercow vorgeworfen, zu oft zugunsten der proeuropäischen Abgeordneten eingegriffen zu haben.
Bisher liessen ihn die Tories gewähren, doch nicht mehr unter Boris Johnsons Regierung. Entgegen den Gepflogenheiten in der konservativen Partei wäre er bei der nächsten Wahl in seinem Wahlkreis von einem internen Gegenkandidaten herausgefordert worden.
Diese Gegenkandidatur ist nicht der erste Bruch der Johnson-Regierung mit bisherigen parteiinternen Regeln. So hat Boris Johnson letzte Woche 21 Parteimitglieder aus der Fraktion geworfen, die im Streit um den Brexit-Kurs gegen die eigene Regierung gestimmt hatten. Darunter sind so prominente Mitglieder wie der amtsälteste Parlamentarier Ken Clarke oder der Enkel von Winston Churchill, Nicholas Soames.
Konservative brechen auseinander
Für diese unkonventionellen und radikalen Massnahmen erhält Johnson viel Applaus von Brexit-Hardlinern in Westminster und in der Bevölkerung. Darunter sind viele Wähler, die noch im Frühling Nigel Farages Partei die Stimme gegeben haben. Insofern ist sein Kurs clever.
Die Kehrseite der Medaille: Johnson vertreibt gemässigte Tories und die konservative Partei bricht in diesen Tagen auseinander. Ministerin Amber Rudd, die am Wochenende zurückgetreten ist, erklärte: «Ich kann nicht zusehen, wie loyale, moderate Konservative ausgeschlossen werden. Ich kann diesen politischen Vandalismus nicht mittragen.»
Entscheidende Wochen für Johnson
Die Parteistrategen überlegen unterdessen, ob Johnson Neuwahlen gewinnen kann, wenn er nur auf die Hardliner setzt und die moderaten Wähler verärgert? Gemäss aktuellen Prognosen ist das ein riskantes Unterfangen. Ein rascher Weg, um die gemässigten Wähler wieder zurückzugewinnen, wäre ein Abkommen, ein Deal mit der EU bis Mitte Oktober. Viele moderate Tory-Abgeordnete hatten Theresa Mays Deal im Frühling unterstützt.
Die nächsten fünf Wochen tagt das Parlament nicht. Die Frage lautet darum: Wird Johnson diese Zeit nutzen und die Verhandlungen mit Brüssel intensivieren, um ein Abkommen zu erreichen? John Bercow würde seinen Rücktritt dennoch nicht rückgängig machen, doch das wird Johnson wenig kümmern. Viel eher wird er sich wohl bemühen, Tory-Wähler zurückzugewinnen – denn von ihnen hängt sein politisches Überleben ab.