Seit dem Brexit-Entscheid verursacht die oberste Schottin Nicola Sturgeon der britischen Premierministerin Theresa May Kopfzerbrechen. Letztere will mit einem geschlossen auftretenden Vereinigten Königreich den Brexit durchziehen , EU-Befürworterin Sturgeon hingegen will die Chance nutzen, um Schottland zur Unabhängigkeit zu führen. Aber was steckt hinter der schottischen Regierungschefin und was treibt sie an?
Wenn Nicola Sturgeon das politische Parkett betritt, strahlt sie Kompetenz nicht nur aus, sondern bringt sie auch mit. Das fällt auf. Nach dem Brexit-Referendum letztes Jahr bezeichnete der Nachrichtensender BBC Sturgeon als «die einzige Erwachsene im Saal».
Und auch die Fakten sprechen für ihre Professionalität. Während Englands Politiker nach dem Brexit-Entschluss reihenweise abdankten, steht Sturgeon seit über zwei Jahren wie ein Fels in der Brandung, offenbar mit einer Strategie.
Kämpferin mit Ausdauer
Als Tochter einer schottischen Arbeiterfamilie – ihr Vater war Elektriker, ihre Mutter Zahnarztgehilfin – politisierte sie schon als 16-Jährige für die Scottish National Party (SNP), wo ihre Mutter bereits Mitglied war.
Angetrieben wurde Nicola Sturgeon von einer grossen Wut. Auf die damalige englische Regierungschefin Margret Thatcher und auf die sozialen Ungleichheiten, für die Sturgeon die radikale Sparpolitik Thatchers verantwortlich machte. «Thatcher war die Motivation für meine ganze Karriere. Ich hasste alles wofür sie stand», sagte Sturgeon mal, die früher auch Aktivistin der Anti-Atomwaffenbewegung war.
Mit 29 Jahren wurde die studierte Juristin ins schottische Parlament gewählt und wurde einige Jahre später zur stellvertretenden Parteivorsitzenden der SNP. Ganze zehn Jahre stand die Nationalistin an der Seite von Parteipräsident Alex Salmond und ersetzte ihn schliesslich, als er nach dem knapp verlorenen Unabhängigkeitsreferendum zurücktrat.
Gefühl für goldene Mitte
Erst mit der Feministin an der Spitze wurde die Partei so breit verankert wie sie heute ist. Die 46-jährige Sturgeon spricht bei der Asylfrage von willkommener Vielfalt, setzt sich für ein starkes Sozialsystem ein, für die Umwelt, aber auch für eine starke, nachhaltige Wirtschaft. Und für die Unabhängigkeit Schottlands.
Mit ihrer ruhigen aber bestimmten Art scheint sie in Ton und Inhalt die goldene Mitte zu treffen. Sogar Anhänger von anderen politischen Lagern akzeptieren Sturgeon – sie polarisiert weit weniger als ihr Vorgänger Salmond. So schaffte sie es, auch Glasgow, eine ehemalige Labour-Hochburg, für sich zu gewinnen.