Das ist bekannt: Auf den Tag genau vor zwei Monaten wagte die Wagner-Gruppe unter der Führung von Jewgeni Prigoschin den bewaffneten Aufstand gegen Putin und marschierte nach Moskau. Prigoschin soll nun am Mittwoch beim Absturz eines Flugzeugs getötet worden sein. Die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass meldete unter Berufung auf die Flugbehörde Rosawiazija, dass Prigoschin auf der Passagierliste gestanden sei. Alle sieben Passagiere und drei Besatzungsmitglieder seien ums Leben gekommen, teilte der russische Zivilschutz mit.
Die Maschine vom Typ Embraer Legacy sollte von Moskau nach St. Petersburg fliegen, wo Prigoschins Firmen ihren Sitz haben. Sie stürzte demnach im Gebiet Twer beim Ort Kuschenkino rund 200 Kilometer nordwestlich von Moskau entfernt ab.
Das ist noch unklar: Ob Prigoschin tatsächlich im Flugzeug sass, konnte bislang nicht zweifelsfrei bestätigt werden. Mehrere russische Medien und der staatliche TV-Sender Rossija24 verkündeten den Tod des Wagner-Chefs. Der prorussische Gouverneur von Saporischja meldete ebenfalls, dass Prigoschin und seine rechte Hand Dmitri Utkin ums Leben gekommen seien. Auch Prigoschins Internetmedium zufolge ist der Wagner-Chef tot. Der Wagner-Telegram-Kanal Grey Zone verbreitete die Version eines gezielten Abschusses. Überprüfbar ist die Behauptung eines Abschusses nicht. Über die Absturzursache und über die Identität der anderen Passagiere wurden bisher keine Angaben gemacht. Die Identifizierung der geborgenen Leichen – sie sollen verkohlt sein – steht noch aus.
Das spricht für einen Racheakt des Kremls: Die beinahe sofortige Information der russischen Luftfahrtbehörde, Prigoschin sei an Bord des Jets gewesen, wirft Fragen auf. «Russische Luftfahrtjournalistinnen schreiben, normalerweise veröffentliche die Behörde die Passagierliste erst Stunden nach einem Absturz. Hier dauerte es nur drei Minuten», sagt SRF-Russland-Korrespondent Calum MacKenzie. «Das wird zweifellos die Theorien befeuern, wonach Prigoschin wegen des Aufstands seiner Wagner-Truppen vor zwei Monaten nun die Rache des Kremls erfahren habe.»
«Ausserdem behaupten Wagner-nahe Telegram-Kanäle, Bewohnende der Ortschaft bei der Absturzstelle hätten die Geräusche von Boden-Luft-Raketen gehört», so MacKenzie. Auch das sei aber noch lange nicht bestätigt. Zudem häuften sich die Hinweise, dass Prigoschin tatsächlich in seinem Jet aus Afrika nach Russland zurückgekehrt sei – und dass seine Angehörigen ihn nicht erreichen könnten.
Das spricht für einen Flugzeugabschuss: Konkrete Beweise dafür gebe es noch keine, sagt der SRF-Korrespondent. «Doch es ist unbestritten, dass der Kreml ein Motiv hätte, Prigoschin auszuschalten.» In der Vergangenheit sei das Putin-Regime mit aller Härte gegen Abtrünnige vorgegangen. «Kreml-Insider hatten gegenüber russischen unabhängigen Medien jüngst ihr Unverständnis darüber geäussert, dass Prigoschin für seinen Aufstand nicht bestraft worden sei.»
«Die Meldungen, wonach bei der Absturzstelle Boden-Luft-Raketen zu hören gewesen seien, sind vorerst Gerüchte», so MacKenzie. «Aber russische Propagandisten verbreiten im Netz bereits die Theorie, das Flugzeug sei mit einer ukrainischen Drohne verwechselt und versehentlich abgeschossen worden.»
Das würde Prigoschins Tod für Russland bedeuten: «Prigoschin ist oder war der Chef einer Paramilitär-Armee. Sein Tod dürfte für einige Unruhe sorgen – gerade unter seinen Anhängern, und das sind nicht wenige», betont Russland-Korrespondent Christoph Wanner in Moskau. «Inwieweit dies Einfluss haben wird auf die russische Politik oder auf den moralischen Zustand der Truppen im Ukraine-Krieg, ist noch unklar. Aber ich denke, dass der Kreml ziemlich viel dafür tun wird, dass Ruhe herrscht. Und ein Nachfolger an der Spitze der Wagner-Gruppe wird bestimmt gefunden.»