Die Nerven in Ottawa liegen blank. Kein Wunder, bei dieser Lärmkulisse: Seit mehr als einer Woche hupen die Trucker, mit laufenden Motoren blockieren sie mit ihren grossen Lastwagen die Innenstadt – und sie protestieren auf dem Parliament Hill, dort wo Kanadas Parlamentsgebäude steht. Die Behörden scheinen, wenigstens zeitweise, die Kontrolle über Ottawa verloren zu haben.
Die Hauptstadt Kanadas erlebe die gravierendste Notsituation ihrer Geschichte, erklärte Bürgermeister Jim Watson. Die Behörden müssten verstärkt und rascher handeln, um die Ordnung auf Ottawas Strassen wiederherzustellen, erklärte Watson in einem Fernsehinterview.
Nun rief Watson nach dem zweiten Protestwochenende den Notstand aus. Die Polizei, der Untätigkeit vorgeworfen wurde, scheint entschlossener gegen die Protestierenden vorgehen zu wollen: So soll der Dieselnachschub für die LKW unterbrochen werden. Wer den Truckern Treibstoff oder Nachschub liefere, müsse mit einer Verhaftung rechnen.
Bürgermeister für aggressiveres Vorgehen
Und: In Ottawa brauche es mehr Polizistinnen und Polizisten, erklärte Bürgermeister Watson weiter – und zwar hunderte. Er werde sich mit den zuständigen Stellen der Provinz- und der Bundesregierung austauschen. Man müsse aggressiver gegen die Proteste vorgehen.
In Ottawa kündigt sich also ein konfrontativerer Umgang mit den Demonstrationen an. Das Problem ist damit aber nicht gelöst – und die Proteste haben sich auch auf andere Städte ausgebreitet, etwa auf Toronto oder Edmonton. Es sind Proteste, die sich anfänglich gegen ein Impfobligatorium richteten: für Trucker, die die Grenze zu den USA überqueren. Rasch wurden die Proteste aber zu einer Art Katalysator.
Um die Trucker sammelten sich auch diejenigen, die genug haben von allen Covid-Massnahmen der kanadischen Regierung, die genug haben von der Regierung des Premierministers Justin Trudeau. Auch rechtsextreme Kreise wurden angezogen. Davon zeugen entsprechende Symbole, die an den Demonstrationen in Ottawa zu sehen waren.
Spendengelder und Lob von Trump
Innert kurzer Zeit sammelten die Organisatoren der Proteste über eine Crowdfunding-Plattform um die zehn Millionen kanadische Dollar und versprachen, so lange in Ottawa zu bleiben, wie nötig. Die Plattform hat aber beschlossen, den grössten Teil dieses Geldes nicht auszuzahlen, denn der Verwendungszweck widerspreche den eigenen Leitlinien.
Dass so rasch so viel Geld zusammenkam, liess Zweifel aufkommen – und die Vermutung, ein Teil des Geldes komme aus den USA. Dort applaudieren rechte Kreise der Aktion der Trucker. Lobende Worte etwa findet Ex-Präsident Donald Trump. Ob eine Mehrheit der Kanadierinnen und Kanadier die Proteste unterstützt, ist fraglich: Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung mehrheitlich hinter den Corona-Massnahmen steht – die Impfquote ist sehr hoch, auch unter Kanadas Truckern.