- Die liberale Partei von Ministerpräsident Justin Trudeau hat nach ersten Ergebnissen die vorgezogene Parlamentswahl in Kanada gewonnen – ist aber deutlich hinter dem Ziel einer absoluten Mehrheit zurückgeblieben.
- Die Regierungspartei errang nach Prognosen des öffentlichen Senders CBC etwa 158 Mandate der 338 Mandate und liess die Konservativen von Kontrahent Erin O’Toole mit ungefähr 119 Sitzen hinter sich.
«Sie schicken uns mit einem klaren Auftrag zurück an die Arbeit, um Kanada durch diese Pandemie und in vor uns liegende, bessere Tage zu führen», sagte Trudeau in seiner Siegesrede in der Nacht zum Dienstag (Ortszeit).
Minderheitsregierung auch in Zukunft
Im flächenmässig zweitgrössten Land der Erde ändert sich damit gegenüber den Wahlen von 2019 kaum etwas – für eine absolute Mehrheit wären 170 Mandate notwendig gewesen. Trudeau ist damit auch künftig auf die Hilfe anderer Parteien angewiesen. Die Regionalpartei aus Quebec kam den Prognosen zufolge auf 34 Sitze, die Mitte-Links-Partei der Neuen Demokraten (NDP) auf ungefähr 25 Sitze, die Grünen erreichten demnach voraussichtlich zwei Mandate.
Der 49-jährige Trudeau hatte die vorgezogene Abstimmung vor wenigen Wochen mit der Hoffnung auf eine absolute Mehrheit unter anderem aufgrund der relativ erfolgreichen Corona-Politik seiner Regierung ausgerufen. Seine Rechnung ging offenbar nicht auf, was einen mehr als faden Beigeschmack hinterlassen dürfte.
«Die Kanadierinnen und Kanadier wollten, mitten in der vierten Coronawelle, diese Wahl nicht», sagt dazu SRF-Korrespondent Andrea Christen. Trudeau habe wohl auch deshalb die angestrebte absolute Mehrheit verpasst.
Vorwurf: Unnötige, selbstsüchtige Wahl
Die Umfragen waren zuletzt knapper gewesen, als die Liberalen sie sich gewünscht hatten. Die Spitzenkandidaten der anderen Parteien und viele Kanadier hatten ihnen vorgeworfen, trotz einer vierten Welle der Pandemie und einer relativ stabilen Minderheitsregierung nach der absoluten Mehrheit zu greifen – und damit Zeit im Kampf gegen Covid-19 zu verschwenden sowie die Gesundheit der Wähler potenziell zu gefährden.
In seiner Rede ging Trudeau denn auch auf seine Skeptiker ein: «Ich habe Sie gehört. Sie wollen nicht mehr, dass wir über Politik oder Wahlen reden. Sie möchten, dass wir uns auf die Arbeit konzentrieren». Der Premier nannte die Beendigung der Pandemie, den Kampf gegen die Klimakrise sowie bessere Angebote bei der Kinderbetreuung als Prioritäten. «Unser Team, unsere Regierung ist bereit», so Trudeau.
Der konservative Spitzenkandidat O'Toole kritisierte Trudeau in seiner Rede unterdessen scharf. Der Ministerpräsident habe auf einen schnellen Griff nach der Macht gehofft. «Die Kanadier haben ihn mit einer weiteren Minderheitsregierung zum Preis von 600 Millionen Dollar und tieferen Spaltungen in unserem grossartigen Land zurückgewiesen». Die Gräben in der Gesellschaft dürften nicht aus egoistischen Gründen vertieft werden. Er warf Trudeau dabei vor, innerhalb von 18 Monaten erneut eine vorgezogene Wahl anzustreben.