Friedlich, ordentlich, sicher. Das war das Image der belarussischen Hauptstadt Minsk. Doch seit gut drei Monaten ist alles anders: Minsk gleicht eher einem Schlachtfeld, jeden Sonntag. Auch heute wieder: Schon am Morgen fahren Militärfahrzeuge auf, zentrale Plätze werden abgeriegelt, Metrostationen geschlossen.
Als dann gegen Mittag die Menschen aus den Wohnvierteln in Richtung Zentrum strömen, treffen sie auf hochgerüstete Sondereinheiten. Die Polizisten schiessen Blendgranaten mitten zwischen friedliche Männer und Frauen. Schwarz gekleidete Stosstrupps machen Jagd auf Demonstranten. Wen sie in die Finger kriegen, den zerren sie in einen ihrer Minibusse.
Noch weiss man nicht, wie viele es heute erwischt hat. Aber das Ausmass der Repression ist gewaltig. Seit Beginn der Proteste im August sind über 25'000 Menschen festgenommen worden. Die meisten davon werden nach ein paar Stunden oder Tagen wieder freigelassen. Aber viele berichten, dass sie in der Haft gefoltert wurden.
Die Gewalt hat System
Dabei ist Gewalt nicht die Ausnahme, sie hat System. Gefangene werden gezielt erniedrigt, manche so heftig geschlagen, dass ihre Körper übersät sind mit blauen Flecken. Auf verwackelten Videos sieht man Menschen, die sich mit erhobenen Händen an eine Wand stellen müssen – bewacht von Uniformierten. Solche Bilder kennt man sonst aus Kriegsgebieten.
«Sie wollen uns einschüchtern, sie wollen uns brechen», hat eine Ärztin lokalen Journalisten erzählt. Sie war festgenommen worden, als sie mit Freundinnen durch die Stadt spazierte.
Die Verantwortung für diese exzessive Gewalt trägt Alexander Lukaschenko. Der Langzeitherrscher liess im August die Präsidentschaftswahl fälschen. Gegen diesen Betrug rebelliert jetzt das Volk, der Autokrat schickt seine Männer mit den Gummiknüppeln. Dabei hat Lukaschenko klargemacht, dass es für ihn um alles geht, er bis zum Letzten kämpfen will. «Seine Liebste gibt man nicht her», sagte er einmal über Belarus. Als wär das Land seine Braut.
Die Menschen riskieren ihr Leben
Doch auch die Menschen geben nicht auf; und riskieren dabei nicht nur ihre Freiheit, sondern auch ihr Leben. Kürzlich etwa wurde Roman Bondarenko zu Grabe getragen. Der 31-Jährige hatte sich für die Opposition engagiert, war von Sicherheitskräften verprügelt worden und starb kurz darauf an einem Schädel-Hirntrauma. An seine Beerdigung kamen Tausende.
«Ich geh jetzt raus.» Das waren die letzten Worte von Bondarenko, bevor er auf den Platz ging, auf dem er tödlich verletzt wurde. «Ich geh jetzt raus», hat auf dem Friedhof die Menge gerufen. Der Tod Bondarenkos ist für viele im Land eine Aufforderung, nicht aufzugeben.
Es ist, als wäre Belarus in einen Albtraum gerutscht, aus dem es keinen Ausweg gibt. Auch nächsten Sonntag wird wieder demonstriert, die Polizei wird wieder brutal einschreiten.