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Proteste im Iran «Um Kontrolle zurückzugewinnen, zensuriert die Regierung Inhalte»

Proteste und Gegenproteste im Iran – die Lage ist eines: unübersichtlich. Wie können Informationen verifiziert werden?

Wenn man die aktuelle Lage im Iran beobachtet, dann ist nur eines sicher: es wird protestiert. Wer, wo, wie und warum – das ist teilweise unklar. Denn nur wenige Bilder und Informationen verlassen das Land.

Den Zugang zum Nachrichten-App Telegram und zu Instagram hat die iranische Regierung seit Sonntag immer wieder gesperrt. Über andere sozialen Medien gelangen aber immer noch täglich Fotos und Videos nach aussen.

Nur wenig Information sind verfügbar

EBU

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Die Europäische Rundfunkunion (European Broadcasting Union, EBU) ist ein Zusammenschluss von 72 Rundfunkanstalten in 56 Staaten mit Sitz in Genf. Die Schweiz ist mit der SRG SSR vertreten.

Ob diese Bilder aber tatsächlich von den aktuellen Protesten im Iran und in den jeweils angegebenen Städten sind, ist fraglich, gibt es doch auch Bewegungen und Institutionen, welche daran interessiert sind, sogenannte Fake News zu verbreiten. Teilweise nur darum, um Geld zu verdienen. Deshalb müssen die Bilder verifiziert werden.

Für Derek Bowler von der Europäischen Rundfunkunion (EBU) ist klar: «Es war noch nie einfach, Inhalte aus dem Iran zu bekommen.» Der Grossteil der Informationen würde man in geschlossenen Netzwerken wie WhatsApp, Signal oder Telegram erhalten.

«Als Mitglied einiger Gruppen habe ich gesehen, wie wichtig diese Verbindungen für uns Journalisten sind», so Bowler. «Anti-Regierungsaktivisten brauchen die Gruppen aber auch um zu informieren und zu mobilisieren.» Deshalb hat die iranische Regierung eingegriffen. Sich fragen zu müssen, ob und wann gewisse Kontakte wieder online sein werden, sei unheimlich, findet Bowler. In den letzten Tagen sei auch nur wenig Inhalt verbreitet worden.

«Sie war in der Lage, Inhalte einzuschränken»

«Die iranische Regierung hat mittlerweile realisiert, dass sie die Inhalte zensieren müssen, wenn sie eine Art Kontrolle zurückgewinnen wollen», sagt Bowler. Es gäbe zwar einerseits durchaus Aktivisten, die vor nichts zurückschrecken würden, um ihre Botschaft zu verbreiten. Andererseits lebe die grosse Mehrheit aber in Angst und «will lieber im Schatten bleiben».

Das zeigt gemäss Bowler, dass «der Iran in der Lage war, Inhalte einzuschränken, wenn auch möglicherweise nicht so stark wie gewünscht.» Dass die iranische Regierung die sozialen Medien aktuell als Bedrohung und Katalysator sieht, sei klar. Dabei müsse aber beachtet werden, dass es für Länder sehr schwierig sei, den Inhalt sozialer Medien zu kontrollieren.

Im Jahr 2018 sind Twitter und Facebook die grössten Zeitungen der Welt.
Autor: Derek Bowler

«Die stärkste Kontrolle kommt von den sozialen Plattformen selbst», findet Bowler. Twitter, Instagram, Facebook, YouTube – keiner der Plattformen hätte geplant, im News Business zu landen. Keiner der Gründer hätte erwartet, dass er Redakteure einstellen muss, um mit Fehlinformationen umzugehen oder vor Regierungen erscheinen muss, um die Strategie zu erklären.

«Doch im Jahr 2018 sind Twitter und Facebook die grössten Zeitungen der Welt. Kontrolle ist Macht und Macht ist Geld für die Plattformen. Um die Macht zu behalten, müssen sie die Kontrolle wiedererlangen», so Bowler.

SRF News: Bei EBU überprüfen Sie nicht nur Inhalte aus dem Iran, sondern alle Bilder, die Sie erhalten. Wie gehen Sie dabei vor?

Derek Bowler: Das ist ein einfacher Prozess. Wir versuchen die Quelle, den Ort und das Datum des Materials herauszufinden. Um alle Aspekte zu verstehen, ist es sehr wichtig mit der Quelle sprechen zu können. Was ist ihre Perspektive? Welche Geschichte erzählt sie?

Derek Bowler

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Derek Bowler ist Digital Sub-Editor bei Eurovision News Exchange und Leiter des Eurovision Social Newswire. Zuvor war Bowler vier Jahren bei Storyful. Er ist spezialisiert auf die Überprüfung von Material aus Syrien und vom Islamischen Staat und hat an Projekten mit der New York Times, der Washington Post und den Google News Labs gearbeitet.

Wie lange dauert es, Inhalte zu verifizieren?

Es kommt extrem darauf an, von wo die Inhalte kommen und wie alt die Geschichte ist. Teilweise geht das 60 Sekunden, teilweise mehrere Stunden.

Welche Probleme treten bei der Verifizierung auf?

Mit Inhalten von Augenzeugen treten eine Reihe von Problemen auf. Wenn es um Inhalte aus Konfliktzonen oder Material vom Islamischen Staat (IS) geht, kann es schwierig sein, den genauen Standort zu ermitteln. Weiter gibt es Leute, die auf Plattformen seltsame Benutzernamen oder Pseudonyme verwenden, um anonym zu bleiben. Die grösste Herausforderung ist jedoch das Stehlen von Online-Inhalten. Wir sehen oft Leute, die Inhalte aus einem anderen Social-Media-Account in ihr eigenes Profil hochladen. Das machen sie um Ruhm, Klicks oder sogar Geld zu verdienen.

Wer ist daran interessiert, gefälschte Fotos oder Videos zu verbreiten?

Ich denke, der Ausdruck Fake News würde in den letzten Jahren übermässig gebraucht. Ich habe über Jahrzehnte Fehlinformation beobachtet, aber aus irgendeinem Grund haben die Medien den Ausdruck Fake News gerne aufgenommen.

Wir von der Eurovision Social Newswire haben eine einfache Meinung: Wenn die Information fake ist, dann ist sie keine News. Wir beobachten natürlich einen Zuwachs an Clickbait-Artikeln mit Sensations-Titel, die genau zum Ziel haben, angeklickt zu werden. Damit will man Geld machen.

Gibt es hinter der Verbreitung Institutionen oder passiert das sehr zufällig?

Wir haben Geschichten gehört, bei denen Russland sich in die amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2016 eingemischt haben soll. Es wird so berichtet, als sei es ein organisierter Angriff gewesen. Aber das ist nicht bewiesen.

Wenn sich falsche Bilder oder Videos online verbreiten, passiert das oft am Anfang von Events. Leute wollen Teil der Online-Diskussion werden, andere wollen Falsches verbreiten. Wir haben beobachtet, dass ein Mangel besteht, auf den sozialen Medien, falsche Fakten zu identifizieren und auszuschliessen.

Wir haben auch schon gesehen, dass grosse News Agenturen wie Reuters oder AP Inhalte veröffentlicht haben, die nicht waren, was sie schienen. Während dem Angriff auf eine Moschee im Sinai (Ägypten) im November, verbrachte ich sehr viel Zeit damit, falsche Inhalte aufzudecken, die auf Social Media in Echtzeit auftauchten. Damit wurden EBU-Mitglieder davor bewahrt, einen sehr peinlichen Fehler zu begehen.

Geschlossenen Netzwerke wie WhatsApp und Telegram sind in bestimmten Regionen der Welt von unschätzbarem Wert.
Autor: Derek Bowler

Gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen sozialen Medien?

Es gibt vielleicht Unterschiede bezüglich der Generationen. Die wichtigsten sozialen Plattformen sind Twitter und Instagram. Beide liefern Inhalte in brandaktuellen Situationen und sie scheinen den Generationenunterschied zu überbrücken. Obwohl Facebook und YouTube natürlich riesige Plattformen sind, ist ihr Problem, dass ihre Apps von Augenzeugen nicht so einfach benutzt werden können.

Allerdings sind andere geschlossenen Netzwerke wie WhatsApp und Telegram in bestimmten Regionen der Welt von unschätzbarem Wert. Menschen in Ländern in denen der Zugang zu sozialen Netzwerken eingeschränkt ist, greifen häufig auf diese Apps zurück um Informationen zu verbreiten.

Wie kann ein normaler User Inhalte verifizieren?

Jeder User sollte seine Plattformen kennen, kritisch darüber denken und sich Fragen stellen. Es gibt viele Wege, wie Menschen sich darüber bewusst werden können, was sie in sozialen Medien sehen. Es geht wirklich darum, kritisch darüber nachzudenken, was man sieht. Ist das eine seriöse Organisation? Macht das Geschriebene Sinn? Was ist der soziale Fussabdruck der Person? Die einfachsten Fragen, liefern oft die offensichtlichsten Antworten. Es gibt eine grosse Auswahl an Online-Tools, die kostenlos sind und einfach verwendet werden können, um die Suche nach der Wahrheit zu unterstützen.

Jeder User sollte seine Plattformen kennen, kritisch darüber denken und sich Fragen stellen.
Autor: Derek Bowler

Werden diese Art von Fakten Checks immer wichtiger?

Absolut. Alle Inhalte, die täglich von Eurovision Social Newswire verarbeitet werden, werden gründlich geprüft. Wenn Redaktionen solche Überprüfungen nicht durchführen – viele machen das nicht – müssen sie damit beginnen. Die Redaktionen werden immer kleiner, deshalb ist es wichtig, dass keine grossen Summen mehr in Dritte wie Storyful investiert werden. Stattdessen muss das Geld wieder in die Ausbildung der Mitarbeiter gesteckt werden, um den modernen Herausforderungen gerecht zu werden, die soziale Nachrichten in Echtzeit darstellen.

Überprüfung von Fotos und Videos

Gibt im Netz bereits ähnliche Motive?
Mit diesen Tools kann überprüft werden, ob ein Bild/Video schon früher einmal im Internet auftauchte. Bild: https://www.tineye.com/Video: https://citizenevidence.amnestyusa.org/
Ist das Video
plausibel?
Wichtige Hinweise, ob ein Foto/Video aus der besagten Region stammen, können Autokennzeichen, Strassenschilder oder Gebäude liefern. Bilder können mit einem Kartentool wie Google Maps verglichen werden.
Ist die Quelle
vertrauenswürdig?
Es lohnt sich immer, den Account genauer anzuschauen. Was wurde auf diesem Account sonst noch gepostet? Wie alt ist der Account? Wie viele Follower und Likes hat der Account? Gibt es eine Verlinkung zu anderen Social-Media-Kanälen? Die Seiten «Way-Back-Machine» (https://archive.org/web/) oder «Namecheck» (https://www.namecheck.com/?locale=de) können dabei helfen.
Wurde das Foto/Video bearbeitet?
Auf der Seite Fotoforensics (http://fotoforensics.com/)  lässt sich überprüfen, ob ein Bild bearbeitet wurde. Das ist für Laien allerdings nicht ganz einfach herauszufinden.

kosm

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