In Peru fand in der Nacht auf Freitag der nationale Protesttag statt. Dies trotz des landesweiten Ausnahmezustandes. Auslöser war Präsident Pedro Castillos Verhaftung. Dieser soll einen Staatsstreich versucht haben. Die freie Journalistin Hildegard Wille weiss mehr über die aktuelle Situation im Land.
SRF: Wie ist der nationale Protesttag verlaufen?
Hildegard Willer: Der Tag ist angespannt verlaufen, aber sehr unterschiedlich, je nachdem, wo man war. In Lima war es relativ ruhig. Aber in verschiedenen anderen Städten in den Anden war es sehr angespannt. Zum Beispiel in Cusco, in Arequipa, aber auch in Punon. Die Leute haben sich auf den Plätzen versammelt, sind aus den Dörfern in die nächsten Städte gefahren, und mehrere Regionalflughäfen sind geschlossen, weil Demonstrierende sie besetzen wollten.
Wie haben Polizei und Militär im Ausnahmezustand darauf reagiert?
Unterschiedlich. Am Abend war bekannt geworden, dass es in der Anden-Stadt Ayacucho sieben Tote gab, bei verschiedenen Strassenkämpfen und wohl beim Versuch der Demonstranten, den Flughafen zu besetzen. Das summiert sich zu den sieben oder acht Toten, die es bereits in den letzten Tagen gab. In Lima ist zwar sehr viel Polizei auf den Strassen, vor allem in der Innenstadt, aber die grossen Massen an Demonstranten sind in den anderen Städten.
Proteste in Peru
Warum ist in den Andenstädten der Protest stärker als in der Hauptstadt?
Vor allem in den südlichen Anden leben Indigene. Und dort hat auch der abgesetzte Präsident Pedro Castillo seine Basis.
Wogegen richtet sich ihre Wut?
Die erste Forderung lautet Neuwahlen. Ein weiterer Auslöser war die Verhaftung Castillos und ein Kongress, der sich als Sieger dargestellt und triumphierend in die Kameras gelächelt hat. Das wurde wirklich als Hohn gesehen. Das hat die Wut entfacht und den Leuten gezeigt: «Einen von uns lassen sie nicht Präsident sein.» Es geht gar nicht so stark um Politik, es geht um das, was Castillo als Person verkörpert hat. Und das alles geschieht vor dem Hintergrund einer kulturellen Kluft. Es ist eine rassistische Kluft, die bis heute anhält.
Es war klar, dass das ein Selbstputsch ist.
Ein Graben, der natürlich seinen Ursprung in der Kolonialgeschichte hat und der die Diskriminierung vor allem der Landbevölkerung mit sich bringt, vor allem der indigenen Landbevölkerung.
Was halten Sie von den Vorwürfen, die man Castillo macht?
Als das Ganze passiert ist, war eigentlich klar, dass das ein sogenannter Selbstputsch ist. Das gab es ja schon einmal in Peru, dass jemand, der an der Regierung ist, das Parlament absetzt, um an der Macht zu bleiben. Man war sich einig, dass das nicht verfassungskonform ist. Aber als Castillo dann auch internationale Unterstützung bekommen hat von den linken Regierungen in Mexiko, Kolumbien, Bolivien und Argentinien, da hat sich das Narrativ gewandelt. Dann sagten plötzlich einige, Castillo sei nicht der Täter, sondern er sei Opfer eines Putsches der Rechten.
Was bräuchte es jetzt, damit das Land wieder zur Ruhe kommt?
Es braucht sicher Neuwahlen, und zwar im Jahr 2023. Und ich meine, Peru bräuchte eine Verfassungsreform. Angefangen damit, dass es nicht mehr so einfach ist, dass der Präsident das Parlament oder das Parlament den Präsidenten absetzen kann. Oder auch das Wahlverfahren für die Abgeordneten, die bis heute nicht direkt wiedergewählt werden können. Dadurch kleben sie förmlich an ihren Stühlen. Ohne diese Reformen ist das Risiko gross, dass sich das Ganze einfach wiederholt.
Das Gespräch führte Nicolas Malzacher.