Am Morgen noch Präsident von Peru, am Abend im Gefängnis: Pedro Castillo ist rasch gefallen. Erst setzte das Parlament den Präsidenten ab, dann wurde er festgenommen. Die Vorwürfe der Justiz lauten: Rebellion und Verstoss gegen die Verfassung. Die neue Präsidentin heisst Dina Boluarte, sie ist die erste Frau an der Spitze Perus. Lateinamerika-Experte Günther Maihold über den politischen Zustand der Anden-Republik.
SRF News: Was ist in Peru genau passiert?
Günther Maihold: Präsident Castillo sah sich mit der Perspektive einer Absetzung durch das Parlament konfrontiert. Castillo versuchte dem mit einem eigentlichen Putsch zuvorzukommen. Er wollte das Parlament auflösen und die Justiz reformieren. Gleichzeitig wollte er eine verfassungsgebende Versammlung einberufen und Neuwahlen durchführen.
Castillo musste schnell merken, dass ihm die Unterstützung des Militärs fehlte. Das Parlament hat dann in aller Eile seine Absetzung beschlossen und die Vizepräsidentin zur neuen Präsidentin gewählt. Castillo versuchte noch, sich in die mexikanische Botschaft abzusetzen. Er wurde dann aber von seiner Leibwache ins Gefängnis geführt.
Warum kam es überhaupt zu einem Amtsenthebungsverfahren gegen Castillo?
Seit seinem Amtsantritt war seine Regierungsführung sehr chaotisch. Zum einen hat Castillo über 30 Minister in weniger als einem Jahr verbraucht. Zum anderen gab es Korruptionsvorwürfe. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen Castillo. Das Parlament nahm dies zum Anlass, das Amtsenthebungsverfahren anzustrengen.
Bevor Castillo abgesetzt wurde, wollte er eine neue Verfassung aufsetzen und damit «die Demokratie in Peru wiederherstellen». Das tönt nach Staatsreich.
Man muss eines wissen: Das Parteiensystem in Peru ist extrem zersplittert. Im Parlament gibt es 13 verschiedene Fraktionen, und Castillo verfügte dort auch nie über eine Mehrheit. Grundsätzlich werden politische Reformen auch von breiteren Bevölkerungsteilen gefordert. Andererseits geht es auch nicht ohne das Parlament.
Viele Menschen dachten, mit Castillo würde ein neuer Kandidat ausserhalb der alten Parteienaristokratie an die Macht kommen. Er war aber nicht in der Lage, eine konstante Regierungsführung zu gewährleisten.
Diese Konfrontation zwischen dem Präsidenten und dem Parlament ist immer heftiger geworden. Castillo war nicht in der Lage, Konsens zu stiften und sich Mehrheiten zu schaffen. In der Folge ist die Situation eskaliert und es gab diese Kurzschlussreaktion: Castillo wollte sich in den Besitz der vollständigen Macht bringen.
Castillo bezeichnete das Amtsenthebungsverfahren als Teil einer Verschwörung gegen ihn durch die Opposition. Was ist an dieser Behauptung dran?
Die Opposition verlangte von Castillo neue Ansätze. Als Dorflehrer aus den Anden kam er als Aussenseiter ins politische Geschäft des Landes. Er konnte die Forderung der Opposition faktisch nicht umsetzen. Zudem gibt es auch innerhalb der Opposition Kandidaten, die glauben, sie seien fähiger als Castillo. Sie strebten so schnell wie möglich Neuwahlen an, um ihre eigene Position zu verbessern.
Auf den Strassen haben Leute am Mittwoch für Castillo protestiert. Wie reagiert Perus Bevölkerung auf die Ereignisse?
Mit politischer Erschöpfung. Viele dachten, mit Castillo würde ein neuer Kandidat ausserhalb der alten Parteienaristokratie an die Macht kommen. Er war aber nicht in der Lage, eine konstante Regierungsführung zu gewährleisten.
Nun steuert das Land wohl wieder auf Neuwahlen zu. Obwohl daraus keine hinreichend klaren politischen Optionen entwickelt werden können. Die Polarisierung zwischen den politischen Kräften sprengt den Konsens immer wieder.
Das Gespräch führte Susanne Stöckl.