130 Tote und mehrere hundert Verletzte. Der Prozess um die Pariser Terroranschläge vom 13. November 2015 sprengt alle bisherigen Normen. Er wird mehr als neun Monate dauern. 140 Gerichtstage sind angesetzt. Das Untersuchungsmaterial wiegt 542 Tonnen.
Ein neuer Gerichtssaal mit 550 Plätzen wurde eigens für diesen Prozess gebaut. Aber er bietet nicht annähernd Platz genug für die 1800 Zivilparteien, die Opfer und ihre Angehörigen. Darum werden die Verhandlungen gleichzeitig in zehn weitere Räume im Justizpalast von Paris übertragen.
Angehörige und ihre Opfer können die Verhandlungen über einen speziellen Zugang zu einem Webradio mit einer halben Stunde Verspätung auch daheim mithören. Dies macht ein neues Gesetz möglich, das auch mit Blick auf diesen Prozess beschlossen wurde. Es ist eine Premiere: Ein Platz in der französischen Justizgeschichte ist dem Prozess «um die Terroranschläge vom 13. November 2015» bereits so gesichert.
Fünf Wochen für Opfer und Angehörige
Inhaltlich stehen die Gerichtsverhandlungen ab kommenden Montag unter einem ersten Schwerpunkt: Die Opfer und ihre Angehörigen kommen zu Wort. Wenn sie dies wollen, können sie ihre Erfahrungen und Erlebnisse berichten, fünf Verhandlungswochen lang.
Dies wird für das Gericht zur Gratwanderung entlang von Emotionen, wie vor einem Jahr am Strafgericht Paris bereits der Prozess um die Anschläge auf die Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» und den jüdischen Supermarkt «Hypercacher» gezeigt hat.
Die Angeklagten
Danach beginnt zweitens die Anhörung der Ermittler, die Beweisaufnahme. Schliesslich ist es die Aufgabe eines jeden Prozesses. Er soll die Schuld der Angeklagten beweisen – gelingt dies nicht, haben sie ein Recht auf Freispruch.
Die Verhandlungen vor Gericht sollen drittens auch eine Erklärung liefern, wie sich kleine Delinquenten aus Belgien und Frankreich radikalisierten und zu Helfern und Vollstreckern der mörderischen Pläne des Islamischen Staates in Syrien und im Irak entwickelten.
Sicherheitspolitische Fragen
Und schliesslich geht es viertens auch um die zentrale Frage, warum die Pläne zu den Anschlägen vom 13. November 2015 so lange unter dem Radar der Antiterror-Ermittler blieben.
Sind hier tatsächlich grobe Fehler passiert, wie manche Stimmen es behaupten? Oder war dies vor allem Folge der neuen Konstellation, dass der islamische Staat in Syrien und im Irak Anschläge in mehreren europäischen Ländern plante und diese mit Hilfe bestehender Netzwerke in Belgien und Frankreich umsetzen konnte?
Die Anschläge gegen das Konzertlokal «Bataclan» und die Restaurants in dessen Umgebung sowie gegen das «Stade de France» haben Frankreich vor bald sechs Jahren erschüttert. Die Angst vor weiteren Terroranschlägen ist präsent bis heute. Wenn die Gerichtsverhandlungen der kommenden neun Monate für alle vier Bereiche überzeugende Antworten bringen, dann werden sie zu einem Prozess für die Geschichte.