SRF News: In der Separatistenhochburg scheint ein Putsch im Gang zu sein. Wie ist die Lage in Lugansk heute Morgen?
David Nauer: Es ist sehr unübersichtlich. Nach letzten Meldungen hat der Innenminister im Machtkampf mit dem selbsternannten Präsidenten der Region im Moment die stärkere Position inne. Präsident Igor Plotnizki soll von gegnerischen Kämpfern umzingelt sein. Er habe sich zusammen mit seiner Leibwache im Keller des Amtssitzes verschanzt, berichten örtliche Medien.
Nach ukrainischen Angaben hat auch Moskau Truppen geschickt, um eine totale Eskalation zu verhindern.
Die Bewaffneten tragen zwar Kalaschnikows, aber keine Hoheitsabzeichen. Woher stammen denn die Bewaffneten in Lugansk?
So genau weiss man das nicht. Es gibt unterschiedliche Theorien und Meldungen, wessen Truppen das sind. Einerseits hat sicher der Innenminister Leute unter Waffen, aber auch der Präsident. Dazu sollen Sondereinheiten aus der benachbarten Separatistenrepublik Donezk gekommen sein. Nach ukrainischen Angaben haben auch die Russen Truppen geschickt, um eine totale Eskalation zu verhindern. Russland ist ja Schutzmacht der ostukrainischen Rebellenrepubliken. Abgesehen davon ist der Einsatz von Soldaten ohne Hoheitsabzeichen ja auch etwas, was zum Repertoire der russischen Armee gehört, wie man das auf der Krim gesehen hat. Im Falle von Lugansk wissen wir aber nichts Gesichertes.
Es geht um einen Machtkampf zwischen dem selbsternannten Präsidenten von Lugansk und seinem Innenminister. Was haben diese für Differenzen?
Es geht um alles Mögliche, aber sicher nicht um politische Differenzen. Es ist nicht so, dass die beiden unterschiedliche innenpolitische Vorstellungen hätten oder unterschiedliche Ansichten zur Beziehung zur Ukraine. Soweit man weiss, haben die zwei schlicht persönliche Probleme miteinander. Es geht um Macht, Geld, den Zugriff auf die rentable Kohleförderung: Es geht also um die Pfründe.
Wo steht Moskau in diesem Konflikt?
Ich habe den Eindruck, Moskau steht weder auf der einen noch auf der anderen Seite. Es hat zwar das Gerücht gegeben, dass der Kreml den Innenminister unterstütze. Das wurde aber offiziell dementiert. Die Russen scheinen eher nach einem Kompromiss zu suchen, ist mein Eindruck. Denn wenn Präsident Plotnizki jetzt mit Hilfe Moskaus abgesetzt würde, wäre das eine Absegnung eines Putsches. Und das wollen die Russen schliesslich auch nicht.
Es geht bei dem Machtkampf um alles Mögliche, aber sicher nicht um politische Differenzen.
Kommt für Moskau der Konflikt in Lugansk nicht ziemlich ungelegen?
Ja, denn den Russen wäre es am liebsten, die sogenannten Volksrepubliken in der Ukraine würden keine Probleme machen. Es gibt auch vermehrt Diskussionsteilnehmer in Russland, die das Engagement in der Ostukraine kritisch sehen. Der Konflikt ist ziemlich teuer für Moskau. Der Kreml muss diesen Republiken Finanzhilfe leisten. Zudem muss er die Separatisten militärisch ausrüsten. Die russische Präsenz in der Ostukraine ist auch der Grund für schmerzhafte Sanktionen des Westens, die Russland langfristig schaden. Da stellt man sich in Moskau inzwischen die Frage, ob sich das alles lohnt. Doch aus russischer Sicht werden dort, in der Ostukraine, russische Interessen verteidigt. Ob der Kreml bereit ist, diese einfach so aufzugeben, wage ich zu bezweifeln.
Den Russen wäre es am liebsten, die sogenannten Volksrepubliken in der Ukraine würden keine Probleme machen.
Dann wird Moskau noch eine Weile die hohen Kosten für die Separatisten in der Ostukraine tragen?
Ja, Russland will sich nicht mit der Westorientierung der Ukraine abfinden. Und diese Volksrepubliken sind eine Art Pfand für den Kreml, mit dem er auf die Ukraine Einfluss nehmen kann. Andererseits – und das ist bemerkenswert – hat Präsident Putin kürzlich vorgeschlagen, dass UNO-Blauhelme in die Region entsandt werden. Wie das umgesetzt werden soll, ist noch völlig unklar. Aber man hat den Eindruck, dass Russland einen Ausweg aus diesem Konflikt sucht, bei dem es seine Interessen und sein Gesicht wahren kann.
Das Gespräch führte Tina Herren.