Der 20. Januar 2021 war ein historischer Tag. Allen Lügen und Widerständen zum Trotz liess sich der legitime Präsident der USA auf den Stufen des Kapitols vereidigen. Donald Trump bekam vier weitere Jahre Zeit, den «Washingtoner Sumpf» trockenzulegen, wie er es einst angekündigt hatte.
Und damit den Staat im Staat, ein undurchdringliches Geflecht aus Politikern, Geheimdienstlern und Wirtschaftsmagnaten, die in Kellern das Blut entführter Kinder trinken, seiner gerechten Strafe zuzuführen.
Zweifel am «Plan»
So zumindest sah das Drehbuch der QAnon-Verschwörer aus, der «Plan». Nun hat sich Trump nach Florida abgesetzt. Statt aus dem Oval Office vieldeutige Tweets abzufeuern, schwingt er im Rentnerparadies den Golfschläger.
«Joe M», einer der prominentesten QAnon-Influencer, hat den Glauben an «Q und seinen Plan» verloren. Der von Twitter verbannte Verschwörer ruft auf alternativen Portalen die «wahren, stolzen Amerikaner» dazu auf, die «bolschewistische Revolution» zu bekämpfen. «Wie dunkel die Stunde auch ist, unser Glaube ist unerschütterlich.» Selbstjustiz statt Führerglaube.
Ein anderer QAnon-Jünger winkt ab. «Ich will einfach nur kotzen», schreibt er in einem populären Chat im Messenger-Dienst Telegram. «Ich bin krank von all der Desinformation und den falschen Hoffnungen.»
Simone Rafael ist Expertin für Verschwörungstheorien bei der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin. Diese setzt sich gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus ein.
Rafael beobachtet derzeit zweierlei Reaktionen auf Trumps tiefen Fall. Die einen sind in einer Glaubenskrise. «Keine Verhaftungen, kein Militärschlag – die Hoffnung, Trump habe etwas in der Hinterhand, hat sich zerschlagen.»
Andere versuchen, die Verschwörungstheorie der neuen Realität anzupassen. Ihre Losung: Bidens Amtsantritt ist nur ein Intermezzo, bis Trump wiederkehrt. «Es bleibt also alles Teil des Plans. Mit grosser Anstrengung wird versucht zu ignorieren, was passiert ist», so Rafael. «Aber der Heilsbringer ist massiv beschädigt.»
Beschädigt hat ihn auch «Big Tech»: Erzählungen über eine gestohlene US-Wahl gingen um 73 Prozent zurück, nachdem Twitter und diverse andere Plattformen Trump verbannten.
Experten sind sich aber einig, dass Trumps Ausscheiden aus dem Weissen Haus nicht das Ende der QAnon-Bewegung bedeuten wird. Denn: Wer sich einer Verschwörungstheorie hingibt, verabschiede sich aus der Welt der Realitäten und Beweise, erklärt Simone Rafael.
Flexible Fährtenleser
Die wahnhaften, oft mit antisemitischen Chiffren angereicherten Ideen lassen sich mühelos weiterspinnen. Das Erfolgsrezept: Was sich nicht belegen lässt, lässt sich oft auch nicht widerlegen. «Es ist kein Problem, eine Verschwörungstheorie der jeweiligen Situation anzupassen», sagt Rafael.
Die Expertin gibt ein Muster der Rettungsanker, die derzeit im Netz ausgeworfen werden: Trump hat sich zurückgezogen, um mit seinem eigenen Medienimperium zurückzuschlagen. Oder aber: Joe Biden ist in Wahrheit Donald Trump – die beiden wurden einfach ausgetauscht.