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Rechter Terror in Deutschland Die Lehren aus Hanau und die Mörder von morgen

Mantraartig wird nach rechtem Terror von einem Weckruf gesprochen. Sind Politik und Behörden nun wirklich erwacht?

Anfang März wurde Innenminister Horst Seehofer im Bundestag deutlich: «Die grösste Bedrohung in unserem Lande geht vom Rechtsextremismus aus.» Diese Bedrohung lasse ich nicht dadurch relativieren, dass es auch Linksextremismus gebe.

Seehofer betonte noch einmal: «Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus und Antisemitismus sind die grösste Gefährdung unseres freiheitlichen Rechtsstaates.» Das sind neue Worte des nicht eben für seinen Linksdrall bekannten CSU-Politikers.

Die Liste der rechtsextremistischen Taten in Deutschland wächst. Und lange schon – von NSU über den Mordfall am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke bis zum Anschlag auf die Synagoge in Halle – war von Weckruf die Rede. Ist man nun erwacht?

Seit den NSU-Morden seien die Strukturen von Länder- und Bundesbehörden besser verknüpft worden, erklärt die Vorsitzende des Innenausschusses, Andrea Lindholz. Der Generalbundesanwalt ziehe die Verfahren sofort an sich: «Und er sagt, was es war: nämlich ein Terrorakt.» Die Ermittlungsarbeiten würden nun bundesübergreifend beginnen.

Konstantin von Notz von den Grünen teilt die Beobachtung: «Rassismus wird nicht mehr als Nebenproblem abgetan, zumindest von weiten Teilen der Politik.» Es gebe heute ein Problembewusstsein, das vor zwei Jahren noch nicht existiert habe. «Es findet ein Wandel statt.»

SPD-Co-Chefin wandte Saskia Esken wandete einem AfD-Sprecher demonstrativ den Rücken zu.
Legende: Anfang März debattierte der Bundestag darüber, wie dem zunehmenden Rechtsextremismus in Deutschland beizukommen ist. SPD-Co-Chefin Saskia Esken wandte einem AfD-Sprecher demonstrativ den Rücken zu. Reuters

Künftig soll jeder, der eine Waffe will, vom Verfassungsschutz überprüft werden – ein wichtiger Schritt, meint CDU-Politikerin Lindholz. NSU, rechtsextremistische Sicherheitskräfte, Walter Lübcke, Hanau – wieso trifft es so oft Hessen? Die Frage beschäftige auch den Innenausschuss, sagt Lindholz. «Uns interessiert auch, ob der Täter von Hanau Bezüge zu anderen Tätern in Hessen hatte.»

Die vielen Gesichter des Terrors

Unabhängig davon, was noch ans Tageslicht kommt – es bleibe viel zu tun. Konstantin von Notz verlangt Internationale Vernetzung, technische Ausrüstung und mehr Personal bei Polizei und Geheimdienst: «Personell hat man die letzten Jahre sehr stark auf den Bereich des Islamismus gesetzt.»

Das sei nachvollziehbar und richtig gewesen. Die Probleme mit gewaltbereiten Salafisten seien nicht kleiner geworden. Aber: «Wenn man den Blick jetzt in eine andere Richtung wendet, müssen genug Kapazitäten da sein.»

Demonstration gegen rechte Gewalt in Frankfurt, 23.2.2020
Legende: Am 19. Februar drang ein Rechtsterrorist in zwei Hanauer Shisha-Bars ein und schoss um sich. Neun Menschen starben. Anschliessend tötete er seine Mutter und beging Suizid. Reuters

Mehr Polizeipräsenz, wie sie Innenminister Seehofer verspricht, begrüsst Lindholz als ersten Schritt. «Die Forderung nach mehr Polizei in der Fläche formuliert auch die Polizei selbst und sie ist berechtigt. Es ist auch für das Sicherheitsgefühl in einem Land wichtig, wenn man weiss: Die Polizei ist ansprechbar und sichtbar.»

Nicht nur die Politik ist gefordert

Doch ansetzen müsse man auch sehr viel früher – nämlich in der Schule, bei den Lehrkräften. Lindholz erinnert sich an den Besuch einer Schulklasse in Berlin. Dort nahm ein Schüler den «Vogelschiss der Geschichte» auf, als den AfD-Chef Alexander Gauland die Nazi-Zeit bezeichnete.

Die Lehrkräfte seien hilflos gewesen: «Sie sind nicht eingeschritten und haben nicht versucht, mit mir gemeinsam zu erklären, warum das niemals ein Vogelschiss war und es eine Verleugnung und Verharmlosung unserer Geschichte ist.»

Für die Bundestagsabgeordnete wurde damals klar, dass die Gesellschaft «an vielen Stellen nicht wehrhaft genug ist.» Wenn sich auch vieles tut im institutionellen Bereich – es führt kein Weg an einer starken, aufgeklärten Zivilgesellschaft vorbei.

Echo der Zeit, 10.03.2020, 18 Uhr; imhm

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