Deutschland driftet auseinander. Die Europawahlen stellen den Parteien der Ampelkoalition ein denkbar schlechtes Zwischenzeugnis aus. Die SPD fährt ihr miserabelstes Ergebnis aller Zeiten ein, die Grünen brechen nach dem Höhenflug von 2019 komplett ein und die FDP kommt nicht von der magischen Fünf-Prozent-Hürde weg.
Die Ampel hat eigentlich fertig. Und gleichzeitig legt die AfD kräftig zu, wird auf EU-Ebene zweitstärkste und in den Bundesländern im Osten stärkste politische Kraft.
«Jetzt-erst-recht»-Effekt
Dass sich die AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron wegen Spionage, Betrug und Korruption verantworten müssen und von der Parteileitung praktisch versteckt werden mussten – geschenkt. Dass Bystron für seine Russland-PR Geld genommen haben soll – unwichtig. Dass Krah die Waffen-SS verharmlost – wurscht.
Tatsächlich ist es laut einer aktuellen Umfrage 82 Prozent der AfD-Wählerinnen und Wählern egal, ob die AfD rechtsextrem ist oder nicht. Es mag ein gewisser «Jetzt-erst-recht»-Effekt mitspielen, doch der Partei wird ganz offensichtlich eine hohe Problemlösungskompetenz zugeschrieben bei den Themen, die die Menschen heute umtreiben: der Krieg und eine diffuse Sehnsucht nach Frieden, der Islamismus und die Migration.
Junge wählen rechtsradikal
In Deutschland waren zum ersten Mal auch die 16-Jährigen zur Urne gerufen. Da zeigt sich: Grün und SPD ziehen auch bei den Jungen nicht mehr, sie wenden sich den Konservativen und der extremen Rechten zu. Klimaschutz ist nur noch eines von vielen Themen, das Junge beschäftigt.
Es sieht so aus, als sei dabei das Kalkül der AfD aufgegangen, konsequent die sozialen Medien mit plakativen, populistischen Schnipseln zu bedienen. AfD-Videos werden auf Tiktok hunderttausendfach angeklickt, unter den 10 reichweitenstärksten Persönlichkeiten sind fünf AfD-Leute.
Konsequenzen
Dass Olaf Scholz nach dieser Klatsche für die Regierung die Vertrauensfrage stellt oder den Weg für Neuwahlen freimacht – wie nicht ganz selbstlos von der Union gefordert –, ist jedoch illusorisch. Auch personelle Konsequenzen in den Parteileitungen von SPD, Grünen und FDP sind nicht zu erwarten. Die Nerven liegen aber blank – in einer Talkrunde bei ntv kanzelte SPD-Chef Klingbeil die gesamte AfD als Nazi-Partei ab – doch auch innerhalb der Koalition stehen unruhige Zeiten an.
Bei den anstehenden Haushaltsverhandlungen kündigt die SPD an, sich stärker für stabile Renten, bezahlbare Mieten und Investitionen in die Infrastruktur einsetzen zu wollen. Gegen Widerstände von FDP und Grünen. Der nächste Streit ist programmiert.