Die Rede kam aus der ganzen Tiefe des alt gewordenen Körpers des Präsidenten. Es war Biden anzusehen, anzuhören und anzumerken: Er ist überzeugt von dem, was er sagt. Es ist ihm eine Herzensangelegenheit. Wenn Biden davon spricht, dass die Welt an einem Wendepunkt stehe, an dem die Entscheidungen, die wir heute treffen, die Zukunft auf Jahrzehnte hinaus bestimmen, dann meint er das so. Es ist sein Thema: Biden sieht dieses Jahrhundert als dasjenige des Kampfes zwischen Demokratien und Autokratien.
Lob von Fox News
Es war die zweite Rede, die Biden während seiner Amtszeit aus dem Oval Office hielt. Das erste Mal hatte er vor dem damals drohenden Erreichen der Schuldenobergrenze gewarnt. In der Nacht auf heute nun sass seine Frau, Jill, unsichtbar für die Kameras nahe an seiner Seite, zusammen mit einer Reihe von Beraterinnen und Beratern. Als der Präsident nach knapp 15 Minuten endete, murmelte jemand leise: «That was great» – das war gut.
Sogar auf Fox News, dem Fernsehsender, der über Biden sonst nur Schlechtes sagt, war danach Lob zu hören: Brit Hume, regelmässiger Kommentator bei dem Sender, sagte auf Fox News sonst nie zu hörende Worte: «Ich denke, das war eine der besten, wenn nicht sogar die beste Rede seiner Präsidentschaft.»
Das «Arsenal der Demokratie»
Biden wandte sich explizit an das amerikanische Publikum. Der Präsident wollte den Bürgerinnen und Bürgern erklären, weshalb ihre Steuergelder für so fern erscheinende Konflikte in Übersee verwendet werden sollen. Dafür verknüpfte Biden strategische Überlegungen, Werte und amerikanische Interessen. Und er griff tief in die Geschichte wegweisender Momente, als er in Anleihung von Roosevelts Wendung während des 2. Weltkriegs von Amerika als dem «Arsenal der Demokratie» sprach. Auch Roosevelt suchte mit diesem Ausdruck Unterstützung für die Waffenlieferungen der USA an die Alliierten. Genauso wie 80 Jahre später Joe Biden.
100-Milliarden-Hilfspaket
Das Bild, das Biden von dieser Welt zeichnet, sollte der Kampf gegen die Autokraten und Terroristen nicht mit aller Macht geführt werden, ist düster. Der Kampf, den die Demokratien – angeführt von den USA – fechten, ist existenziell. So beschreibt es der Präsident. Ob er damit seine Gegner im Kongress erreicht, ist fraglich. Biden will heute, Freitag, das Parlament um ein riesiges neues Hilfspaket ersuchen: 100 Milliarden Dollar. Für die Ukraine, Israel, humanitäre Anstrengungen, die US-Grenze zu Mexiko, den Indopazifik.
Das Versäumnis
Biden verlangt grosse Beträge. Er verwendete in der Begründung, weshalb die USA dieses Geld aufwerfen soll, grosse Worte, mit einem grossen Anteil an Pathos auch. Es war eine gute Rede, zweifelsohne. Und doch schaffte Biden eines nicht: zu erklären, was er in der Ukraine und in Israel erreichen will. Wie er dieses Ziel erreichen will. Und weshalb der Ausgang dieser Konflikte wichtig ist für den Alltag der Amerikanerinnen und Amerikaner. Das schaffte er nicht.