- Garry Conille soll Haiti als Ministerpräsident der Übergangsregierung aus der Krise führen.
- Der Übergangspräsidialrat des Karibikstaates wählte ihn am Dienstag einstimmig.
Conille ist seit Anfang 2023 Regionalchef des UNO-Kinderhilfswerks für Amerika und die Karibik. Der Mediziner hatte zuvor in verschiedenen Positionen bei den Vereinten Nationen gearbeitet und war von September 2011 bis Mai 2012 bereits Ministerpräsident Haitis gewesen.
Nun soll er inmitten einer schweren Krise mit politischen Konflikten, Sicherheits- und Versorgungsproblemen in seinem Heimatland als Regierungschef den Weg hin zu den ersten Wahlen seit 2016 ebnen.
Für viele Menschen sei Conille der richtige Kandidat, sagt der Journalist Toni Keppeler. «Er hat die letzten Jahre vor allem in UNO-Institutionen gearbeitet. Er ist parteilos und gilt als ein sehr ausgleichender Mensch. So kann er die sehr zerstrittene haitianische politische Szene wohl zumindest moderieren.» Keppeler berichtet seit langem über Haiti und bereist das Land immer wieder.
Haiti leidet seit Jahren unter der Gewalt schwer bewaffneter Banden, die die Hauptstadt Port-au-Prince grösstenteils unter ihrer Kontrolle haben. Ab Ende Februar eskalierte die Lage, als ein Bündnis mehrerer Banden mit einer Reihe von Gewalttaten die Stadt lahmlegte.
Laut Informanten Keppelers sollen die gewaltsamen Auseinandersetzungen in den letzten zwei, drei Wochen ein bisschen abgenommen haben. Es gebe weniger Schiessereien und so gut wie keine Entführungen mehr. «Ein Informant sagte mir kürzlich, das normale Leben kehre langsam zurück.»
Ein Land ohne Zentralmacht
Zahlen, die diese Entwicklung belegen, gibt es nicht. Denn wichtige Institutionen haben im Land bis vor kurzem gefehlt. Seit der noch immer nicht vollständig aufgeklärten Ermordung des Präsidenten Jovenel Moïse im Juli 2021 hat Haiti keinen Staatschef mehr. Auch ein Parlament gibt es wegen ausgefallener Wahlen nicht. Minister fehlen.
Seit etwa zwei Monaten gibt es immerhin einen Übergangsregierungsrat, der zum Teil die Funktionen des Präsidenten ersetzt, und einen provisorischen Wahlrat. Und mit Garry Conille gibt es nun auch wieder einen Premierminister. «Es geht wieder in Richtung eines Landes, das zumindest funktionsfähige Institutionen hat», sagt Keppeler.
Laut dem Journalisten besteht mit Conille Hoffnung, das Land weiter zu stabilisieren: «Zum einen hat die politische Szene wieder einen Kopf, der handlungsfähig ist und dafür die notwendige Legitimation besitzt. Zum anderen hat die internationale Gemeinschaft wieder einen klaren Ansprechpartner.» Das ermöglicht es, Verhandlungen zu führen und Hilfeleistungen zu koordinieren.