Irans aggressive Aussenpolitik hat mit dem Raketenangriff auf Israel eine neue Stufe der Gewalt erreicht. Was die Bevölkerung in Iran darüber denkt, weiss Katajun Amirpur. Sie ist Professorin für Iranistik an der Universität Köln.
SRF News: Was denken die Iranerinnen und Iraner über die Aussenpolitik des Mullah-Regimes in Teheran?
Katajun Amirpur: Sie ist schon seit Jahren mehrheitlich gegen diese aggressive Aussenpolitik. Der Spruch «Weder Gaza noch Libanon – mein Herz gehört Iran» ist seit 2009 der meistgebrauchte Slogan bei Protesten auf der Strasse. Das Regime solle also die Unterstützung von Hisbollah, Hamas, Huthis und des syrischen Regimes beenden, fordert die Bevölkerung. Das viele so ausgegebene Geld sollte besser den Menschen in Iran selber zugutekommen.
Wie präsent ist diese Kritik derzeit in Iran selber?
Proteste werden in Iran niedergeknüppelt, und das seit Jahrzehnten. Trotzdem gibt es immer wieder Ausbrüche an grösseren Demonstrationen, wie zuletzt im Herbst 2022. Es gibt aber auch permanent Proteste – laut den iranischen Behörden jeden Tag 30 Mal im Land.
Umfragen des Innenministeriums zeigen, dass 70 bis 90 Prozent der Menschen gegen das Mullah-Regime sind.
Auch derzeit gibt es Demonstrationen, wenn auch wegen der massiven Repression nicht mehr allzu viele. Allein letztes Jahr wurden mehr als 850 Menschen hingerichtet, wegen angeblicher Aufwiegelung. Was aber stets vorkommt, ist ziviler Widerstand: das vorgeschriebene Kopftuch nicht tragen, Graffitis oder Geldscheine beschmieren. Umfragen des Innenministeriums zeigen, dass 70 bis 90 Prozent der Menschen gegen das Mullah-Regime sind.
In letzter Zeit soll die Repression verstärkt worden sein, etwa werden die Kleidervorschriften wieder sehr streng durchgesetzt. Wie schätzen Sie das ein?
Die Durchsetzung der Kleidervorschriften ist schon nach einer kurzen Phase der Entspannung in der ersten Hälfte 2023 wieder verstärkt worden. Seit Monaten wird nun ein Gesetzentwurf behandelt, der sehr schwere Strafen bis hin zu Bussen in Höhe mehrerer Jahresgehälter für das Nichttragen des Kopftuchs vorsieht.
Es scheint, dass der Widerstand ungebrochen ist – und das Regime die Daumenschraube gerade deshalb stärker anzieht.
Bisher ist das nur eine Ordnungswidrigkeit. Das Regime hat es trotz der bisherigen Repression nicht geschafft, die Frauen zum Tragen des Kopftuchs zu zwingen, deshalb geht man jetzt noch rigoroser gegen die betreffenden Frauen vor.
Wie reagiert die Bevölkerung auf die Verschärfung der Repression?
Das ist schwierig einzuschätzen, wir kriegen das nur per Social-Media-Berichten mit. Hier sieht man nach wie vor viele Frauen, die sich weigern, das Kopftuch zu tragen. Auch sieht man immer wieder Szenen, in denen Menschentrauben versuchen, «fehlbare» Frauen vor der anrückenden Sittenpolizei zu beschützen. Es entsteht der Eindruck, dass der Widerstand ungebrochen ist, und das Regime die Daumenschraube gerade deshalb noch stärker anzieht.
Könnte es bald wieder zu grossen Protestzügen kommen, wie das letztmals im Herbst 2022 der Fall war?
Das Regime ist sehr gut aufgestellt. Die Revolutionsgarden sind als Eliteeinheit ausschliesslich dazu da, es zu beschützen. Protestierende haben es also mit einer sehr starken militärischen Macht zu tun. Das lässt mich eher pessimistisch in die Zukunft blicken.
Auf diese Mischung aus Wut, Frust und Mut kann mit nicht ewig den Deckel draufhalten.
Andererseits zeigen vor allem sehr junge Menschen – 70 Prozent aller Iranerinnen und Iraner sind unter 25-jährig – sehr viel Mut und einen wahnsinnigen Frust über das Regime. Auf dieser Mischung aus Wut, Mut und Frust kann man nicht ewig den Deckel draufhalten. Längerfristig sehe ich deshalb ein grosses Potenzial für einen Umsturz.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger