Auf den ersten Blick scheint die Auswahl an Kandidaten gross: Insgesamt 230 Personen kandidieren für die 45 Sitze im Moskauer Parlament. Im Schnitt können die Wähler aus fünf Kandidaten für ihren Bezirk eine Person auswählen. Die Auswahl an Kandidaten hat diesen Sommer jedoch die grössten Proteste seit Jahren in der russischen Hauptstadt provoziert.
Denn im Vorfeld wurden 56 Kandidaten von der Wahl ausgeschlossen, darunter auch jene Oppositionelle, die den Machtanspruch von Wladimir Putin und seine Partei «Einiges Russland» in Frage stellen. Wie etwa der Sozialdemokrat Ilja Jaschin oder Ljubow Sobol aus dem Team von Alexei Nawalny. Weil die Proteste auf der Strasse am Ausschluss der Kandidaten nichts verändern konnte, schlug Alexei Nawalny eine Protestwahl an der Urne vor.
Einigung unter Zerstrittenen
«Kluges Wählen» nennt Nawalny seine Strategie, die er in einem Youtube-Video präsentierte, das bis Sonntagmittag fast 2.5 Millionen Menschen angeklickt haben. Man könne die Partei Wladimir Putins an der Urne besiegen, wenn man sich organisiere, gibt sich Nawalny in seinem Video überzeugt.
«Damit die Kandidaten von Putins Partei nicht mehr gewählt werden, müssen nur drei Prozent all jener, die bei der letzten Wahl nicht wählen gingen, an die Urne gehen. Von allen, die bei den letzten Parlamentswahlen gegen Putins Partei gestimmt haben, braucht sich nur ein Drittel auf einen Kandidaten zu einigen», sagt er im Video.
Die russische Opposition ist bisher nicht für Einigung bekannt, sondern eher für Grabenkämpfe bis ins Kleinste. Dennoch sei die Strategie von Nawalny politisch rational, sagt die Politologin Ekaterina Schulmann. «Nawalny versucht den Unmut der Bevölkerung gegen die Partei von Wladimir Putin zu kanalisieren. Dies könnte durchaus sehr gut funktionieren. Nicht, weil seine Strategie unglaublich genial ist, sondern weil die Ablehnung gegen die Partei von Putin hoch ist.»
(K)eine Partei
Offiziell tritt bei den Wahlen kein einziger Kandidat von «Einiges Russland» an. Obwohl mehrere der bisherigen Abgeordneten erneut kandidieren und unter den insgesamt 45 Amtsträgern bei den vergangenen Wahlen ganze 38 als Vertreter der Partei «Einiges Russland» gewählt wurden.
Damit übernehmen die Kandidaten die Strategie des Präsidenten, der bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen offiziell als «unabhängiger» Kandidat antrat. Aus gutem Grund: Der Ruf der Partei als notorisch korrupt macht das Parteilogo toxisch. So sind die meisten Kandidaten für die heutigen Stadtparlamentswahlen in Moskau offiziell parteilos.
Gemeinsam gegen das Monopol
Nawalny ist dennoch überzeugt, dass es gelingen kann, Putins Partei «Einiges Russland» an der Urne abzustrafen. Nawalny hat eine Seite mit Wahlempfehlungen programmieren lassen. Die Wahlberechtigten können so nachschauen, welchem Kandidaten Nawalny die höchsten Chancen ausrechnet gegen Putins Partei zu gewinnen.
Unter den empfohlenen Kandidaten finden sich Kommunisten ebenso wie Nationalisten. «Das mag sich nicht sehr günstig für den Wähler anhören, aber es verändert das Machtgefüge. Mit einer parlamentarischen Demokratie hat dies selbstverständlich noch nichts zu tun. Aber es ist besser als das Monopol einer einzigen Partei», so Politologin Schulmann. Noch bis Sonntagabend um 20 Uhr können Moskauerinnen und Moskauer an die Urnen. Die definitiven Wahlresultate werden am Montagmorgen erwartet.