Seit drei Monaten ist Alexej Nawalny hinter Gittern. Ist es ruhiger geworden um ihn? Im Gegenteil. Russlands wichtigster Häftling ist fast täglich ein Thema – im Internet, bei kritischen Medien. Nawalnys Anwälte und seine Familie berichten regelmässig, wie es ihm geht und veröffentlichen Botschaften in seinem Namen.
Die Nachrichten aus dem Straflager sind nicht gut. Alexej Nawalny befindet sich seit zwei Wochen im Hungerstreik. «Er kann nur noch mit Mühe sprechen, ist stark abgemagert», schildert Julia Nawalnaya den Zustand ihres Mannes in den sozialen Medien. Sie hat ihn kürzlich besucht. Der 1.90 Meter grosse, einst kräftige Mann wiege nur noch 76 Kilogramm. Er klagt zudem über starke Rückenschmerzen, Taubheitsgefühle in den Händen, leidet unter Husten und hatte zeitweise Fieber.
Mit anderen Worten: Nawalnys Gesundheitszustand ist miserabel – und er verschlechtert sich rapide. «Ich mache mir grosse Sorgen um ihn», schreibt Nawalnaya – fügt aber an: «Ich weiss, dass er nicht aufgeben wird.»
Die Botschaft ist klar: Nawalny kämpft. Mit seinem Hungerstreik kämpft er dafür, dass unabhängige Ärzte zu ihm vorgelassen werden. Die Gefängnisverwaltung verweigert ihm dies.
Der Gesundheitszustand des Häftlings sei zufriedenstellend, heisst es offiziell. Nawalny selbst berichtet, die Behörden würden sich darauf beschränken, ihn zum Essen zu verführen. So sei in der Zelle extra Poulet gebraten worden. Der köstliche Duft sollte den Hungerstreikenden verlocken, doch etwas zu essen. Vergeblich: Nawalny gab nicht nach.
Poulet gegen die Opposition
So zynisch solche Methoden sind, sie offenbaren auch: Alexej Nawalny ist für den Kreml ein Problem. Er sitzt zwar hinter Gittern – aber er ist nicht weg. Er ist immer noch da, er setzt die mediale Agenda, er will das System zu Zugeständnissen zwingen. Auch bei internationalen Kontakten muss sich Wladimir Putin mit dem Problemhäftling befassen. Als er kürzlich mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel telefonierte, sprach sie ihn nicht nur auf den russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze an, sondern auch auf Nawalny.
Die Staatsmacht versucht, den renitenten Gefangenen zu diskreditieren. Eine kremltreue «Menschenrechtlerin» suchte Nawalnys Haftanstalt auf – in Begleitung von staatsnahen Journalisten. Heraus kam ein TV-Beitrag darüber, wie schön und bequem es in russischen Gefängnissen sei. Schwer vorstellbar, dass das Publikum diese Propaganda-Märchen geglaubt hat.
Auch Kreml-Sprecher Dmitri Peskow muss sich öfter mit dem Fall auseinandersetzen, als ihm lieb ist: Immer wieder fragen kritische Medienschaffende nach dem Häftling Nummer 1. Dieser, antwortete Peskow einmal, sei ein «Bürger, dessen Weltanschauung ich widerlich finde». Eine Aussage, die man fast schon als Eingeständnis deuten könnte, dass Nawalny aus politischen Gründen sitzt.
Ein ungleicher Kampf
Fazit: Nawalny ist – obwohl in Haft – immer noch eine herausragende Figur in Russlands Politik. Er ist der einzige namhafte Gegner von Wladimir Putin.
Aber es ist auch ein ungleicher Kampf. Der eine ist Präsident im Kreml, der andere sitzt hinter Gittern: krank, ausgehungert und einem System ausgeliefert, das ihn schon einmal töten wollte. Auf dem Spiel steht nicht nur Nawalnys Freiheit, seine Gesundheit – auf dem Spiel steht auch sein Leben.