In Indien wählen die Menschen im bevölkerungsreichsten und damit politisch wichtigsten Bundesstaat eine neue Regierung: Diese Wahl gilt als richtungsweisend. Sie ist auch ein Stimmungstest für den hindunationalistischen Premierminister Narendra Modi, der seit acht Jahren an der Spitze des Landes steht, das auf Demokratieranglisten auf tiefere Plätze rutscht und zuletzt von der Nichtregierungsorganisation Freedom House als «teils frei» eingestuft worden ist.
Ein klarer Sieg der Hindunationalisten wäre ein Hinweis darauf, dass die Religion der hinduistischen Mehrheit weiter zunehmend zur Grundlage der Politik wird und sich religiöse Minderheiten – vor allem Muslime – unsicherer fühlen. Umfragen von dieser Woche deuten auf einen Sieg der Hindunationalisten hin.
Uttar Pradesh – ein 200 Millionen Bundesstaat
Die Wahl im Bundesstaat Uttar Pradesh ist immens gross. Mehr als 200 Millionen Menschen leben dort. Wäre Uttar Pradesh ein Land, wäre es unter den Top fünf bevölkerungsreichsten der Welt. Und Uttar Pradesh ist auch der Hauptgrund, warum Modi zweimal hintereinander eine Parlamentsmehrheit hatte.
Der Spitzenkandidat der Hindunationalisten ist Yogi Adityanath – ein militanter hinduistischer Mönch und seit fünf Jahren Regierungschef. Von einigen wird er gar als künftiger Nachfolger von Narendra Modi als Premierminister gesehen. Er ist als Hardliner bekannt, der immer wieder gegen Muslime hetzt. Und er hat Politik gemacht, die auf Muslime abzielt – etwa mit verschärften Gesetzen gegen das Schlachten von Kühen.
Kühe sind für Hindus heilig, aber Muslime verdienen mit deren Fleisch und Leder Geld. Und er hat dem sogenannten «Love Jihad» den Kampf angesagt: Das ist eine Verschwörungstheorie radikaler Hindus, wonach Muslim-Männer systematisch Hindu-Frau heiraten, um mit ihnen viele Kinder zu zeugen und so ihren Anteil an der Bevölkerung zu vergrössern. So hat er ein Gesetz erlassen, das gemischt-religiösen Paaren das Heiraten erschwert.
Die Hindunationalisten hatten bislang unter anderem Erfolg, weil sie es geschafft haben, nach vielen Jahren der Kolonialzeit eine Identität zu propagieren, bei der der hinduistische Glaube ein wichtiger Teil ist. Sie konnten so Hindus über Kastengrenzen vereinen – auch wegen eines tiefen Misstrauens zwischen Hindus und Muslimen. Diese leben seit Jahrhunderten eher nebeneinander als miteinander. Zudem wirbt Yogi Adityanath mit Infrastrukturprojekten wie Autobahnen, Unterstützung für arme Leute, etwa mit Gratis-Essen und mit mehr Sicherheit. Auch wird Modi als starker Mann geschätzt.
Sozialisten möchten Arbeitslosigkeit anpacken
Aber Indien hat noch andere Probleme, von denen sein grösster Gegner, der Sozialist und frühere Regierungschef Akhilesh Yadav, zu profitieren versucht: Die Arbeitslosigkeit ist besonders unter jungen Menschen hoch und wegen der Inflation steigen Lebensmittel- und Benzinpreise. Zudem gingen Tausende Bauern monatelang wegen einer grossen Agrarmarktliberalisierungsreform von Premierminister Modi auf die Strasse, bis dieser sie zurücknahm. Und schliesslich trieb die Corona-Politik zunächst Tagelöhnerinnen mit einem harten Lockdown aus den Grossstädten und später brach das Gesundheitssystem unter einer heftigen Welle zusammen. Damals suchten Menschen verzweifelt nach Sauerstoffflaschen, in Krematorien brannten die traditionellen Scheiterhaufen rund um die Uhr und Leichen trieben auf dem Ganges. Die Resultate der Wahl werden am Donnerstag erwartet.