Mitten in Europa herrscht Krieg. Vor drei Jahren schreckte diese Erkenntnis den Kontinent auf. Die Bilder weckten böse Erinnerungen: belagerte Städte; Panzer, die durch zerschossene Wohnquartiere rollen; Soldaten, zusammengepfercht in Schützengräben.
Entsprechend gross waren die diplomatischen Bemühungen, die Unruheregion zu befrieden. Auf «Minsk I» folgte «Minsk II». Die unter deutsch-französischer Führung vermittelten Friedensabkommen konnten die Feindseligkeiten zwar eindämmen, aber nicht beenden.
Der Konflikt hat inzwischen 10'000 Opfer gefordert. Zuletzt haben sich die Kämpfe erneut intensiviert. Beide Seiten sprechen von einer Eskalation. Zu den besten Kennern des Konflikts gehört der Schweizer Alexander Hug. Er ist stellvertretender Leiter der Spezialbeobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE).
Hug bestätigt SRF News die besorgniserregenden Entwicklungen der letzten Wochen: «Die Zahl der Waffenstillstandsverletzungen nimmt stetig zu.» Seit dem 10. Dezember würden täglich über 1000 solcher Verletzungen registriert.
Die neuesten Nachrichten aus der Krisenregion sind wenig ermutigend. Zwar haben die Konfliktparteien heute eine Waffenruhe über die Feiertage vereinbart. Gleichzeitig hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko aber die Verlegung weiterer Truppen in den Osten des Landes angeordnet: «Wir sind auf jedes Szenario vorbereitet.»
Den Feind fest im Blick
Immer noch stehen sich prorussische Separatisten und die ukrainische Armee waffenstarrend gegenüber, immer wieder kommt es zu Kampfhandlungen:
Oft stehen sich die beiden Seiten so nahe, dass sie sich sehen können. Das führt zu dauernden Spannungen und oftmals zu Entladungen, die in schweren Gefechten enden.
Zudem würden sich schwere Waffen wie Panzer, Mörser, Mehrfach-Raketenwerfer oder Artilleriegeschütze in Gebieten befinden, wo sie gemäss den Abkommen von Minsk nicht stehen dürften. Hugs Befürchtung: «Wenn diese Waffen nicht abgezogen werden und die Distanz zwischen den Positionen der Streitkräfte nicht erhöht wird, könnte sich die Situation weiter hochschaukeln.»
Beunruhigende Signale gibt es auch aus Moskau. Der Kreml hat angekündigt, seine Offiziere aus der Kontaktstelle zurückzuziehen, in der russische und ukrainische Militärangehörige den Konflikt gemeinsam überwachen und gelegentlich auch vermitteln. Das Zentrum war im Rahmen des Minsker Friedensabkommens eingerichtet worden.
Der OSZE-Vertreter möchte nicht über die Motive des Kremls für den Abzug spekulieren: «Wir stellen aber fest, dass das Koordinieren und Einhalten der Waffenruhe damit schwieriger wird.» Gleichzeitig würde die Sicherheit der eigenen Leute weiter gefährdet: «Das Zentrum hat von Anfang an mitgeholfen, Sicherheitsgarantieren der verfeindeten Parteien zu vermitteln. Das müssen wir nun direkt tun.»
Vermintes Gelände
Die Krisenregion gehört laut einem aktuellen UNO-Bericht zu den am meisten mit Minen belasteten Gebieten der Welt. Im Schnitt werde jede Woche ein Kind durch Blindgänger oder Landminen verletzt oder getötet, schreibt Unicef. Hug kann diesen traurigen Befund bestätigen. Die Konfliktparteien würden das Gelände weiträumig verminen, um ihre Stellungen zu festigen.
Die Beobachtermission stelle täglich fest, dass es auch in der Sicherheitszone Minen gebe: «Die Zone sollte eigentlich sicher sein. Zurzeit ist sie aber das wohl gefährlichste Gebiet in der ganzen Ukraine. Allein in diesem Jahr wurden über 450 Zivilisten Opfer des Konflikts, davon mindestens 140 durch Explosionen von Minen und nicht detoniertem Kriegsmaterial.»
Auch der bisher einzige Todesfall, den die Beobachtermission zu beklagen hatte, ist auf die Minen zurückzuführen. Jede einzelne der Sprengkörper sei eine Verletzung der Minsker Vereinbarungen, sagt Hug: «Beide Seiten stehen in Verantwortung, die Minen wegzuräumen oder verseuchte Gebiete klar zu markieren.»
Keine Alternative zum Minsker Abkommen
Die Ausführungen des OSZE-Mitarbeiters zeigen: Frieden in der Ostukraine ist noch weit weg. Es geht darum, Schlimmeres zu verhindern. Für Hug stehen «militärisch-technische Massnahmen» im Vordergrund, um dies zu erreichen.
Die Streitkräfte müssten sich ausser Sichtweite aufhalten, die schweren Waffen soweit zurückgezogen werden, dass sie ausser Reichweite des Gegners seien: «Nur so kann das Vertrauen zwischen den Parteien verbessert werden.»
Ist das Minsker Abkommen angesichts solcher Zustände das Papier wert, auf dem es geschrieben ist? Für Hug bleibt es von vitaler Bedeutung: «Das Abkommen stellt sicher, dass sich beide Seiten unterhalten können, es öffnet Kommunikationskanäle. Ohne die Vereinbarungen gibt es keine Alternative, wie man Lösungen suchen und herbeiführen könnte.»