In den 25 Jahren seit dem brutalen Völkermord mit rund 800'000 Toten hat Ruanda viel zur Versöhnung der beiden Volksgruppen Hutu und Tutsi getan. Eine Wiederholung des Genozids hält die in Ruanda lebende Journalistin Simone Schlindwein deshalb für unwahrscheinlich. Allerdings sorgt sie sich um die Lage in manchem Nachbarland Ruandas.
SRF News: Wie ist die Stimmung in Ruanda rund um den 25. Gedenktag des Massakers?
Simone Schlindwein: Es ist alles sehr ruhig und bedächtig – jetzt beginnen die 100 Tage der sogenannten Erinnerungszeit, die jedes Jahr begangen wird. Es gibt in dieser Zeit keine Partys, die Restaurants machen früh zu. Die Menschen bleiben zuhause oder gehen auf einen der Friedhöfe und gedenken der ermordeten Verwandten. Viele besuchen auch Gottesdienste.
Täter mussten ihre Taten gestehen und um Vergebung bitten – das hat zur Versöhnung beigetragen.
Ruanda hat einen eindrücklichen Versöhnungsprozess hinter sich. Wie geeint ist das Land tatsächlich?
Auf offizieller Ebene gibt es die Versöhnung insofern, als dass die Unterscheidung in ethnische Gruppen staatlich verboten ist, die Diskriminierung sowieso. Daneben wurden in den vergangenen Jahren in den Dorfgemeinschaften Hunderttausende von Versöhnungsprozessen abgehalten. Täter mussten ihre Taten gestehen und um Vergebung bitten. Das hat sicher zur Versöhnung beigetragen – die Menschen in Ruanda sind sehr christlich und religiös. Zudem wächst inzwischen eine Generation heran, die den Völkermord nicht selber erlebt hat. Auch das trägt zur Versöhnung bei.
Ist der Völkermord bei den jungen Ruandern überhaupt noch ein Thema?
Die Menschen der jungen Generation werden vermehrt zu Entscheidungsträgern in der Gesellschaft, Arbeit und Politik. Diese jungen Menschen haben den Genozid nicht miterlebt, sehr wohl aber den Wiederaufbau des völlig zerstörten Landes. Sie haben mehr Schwung und Motivation, in die Zukunft zu blicken – und nicht immer bloss in die Vergangenheit. Sie wollen ein neues Ruanda aufbauen.
Es stellt sich die Frage, ob man das Ethnien-Problem tatsächlich löst, indem man es einfach wegschweigt.
Sind in den vergangenen 25 Jahren tatsächlich alle Ressentiments zwischen den Stämmen der Hutu und der Tutsi verschwunden?
Es ist staatlich verboten, sich als Hutu oder Tutsi zu bekennen. Das Thema darf nicht erwähnt werden, es wird verschwiegen. Die Menschen in Ruanda tun so, als ob es nicht existierte. Ob man ein Problem durch reines Wegschweigen aber tatsächlich löst, ist eine andere Frage. Zumindest an der Oberfläche herrscht das Gefühl vor, es sei alles stabil und es gebe keine Ressentiments mehr zwischen den beiden Volksstämmen.
Wäre ein Genozid wie 1994 in Ruanda auch heute noch möglich?
Aus heutiger Sicht wohl nicht. Dagegen wurden genügend Präventionsmassnahmen unternommen. Doch in der Region des zentralen Afrikas kommt es immer wieder zu ethnisch bedingten Massakern. Sie sind zwar weniger intensiv, werden aber über Jahre, teils über Jahrzehnte fortgeführt. So kommt es insgesamt zu ähnlichen Opferzahlen wie in den 100 Tagen in Ruanda. Der Völkermord von 1994 sollte deshalb eine Warnung sein, uns für Stabilität und Frieden in Afrika einzusetzen.
Das Gespräch führte David Karasek.