Über Ruanda lassen sich zwei Geschichten erzählen. Zum einen die Geschichte eines Landes, das wirtschaftlich erfolgreich ist – erfolgreicher als die meisten anderen Staaten Afrikas. Ein Land, das in der Gesundheitsversorgung und Korruptionsbekämpfung erstaunliche Erfolge erzielt. Ein Land, dessen Hauptstadt sicherer und sauberer ist als viele europäische Metropolen.
Aber es gibt auch die andere Geschichte. Ruanda ist seit Jahrzehnten eine ausgeprägte Autokratie. Wer nicht spurt, verliert – manchmal gar das Leben. Es gibt starke Hinweise auf politische Morde in dem kleinen Land. Regimekritiker scheinen selbst im Ausland nicht sicher zu sein.
Nur: Diese zweite, dunkle Seite Ruandas geht in westlichen Regierungsämtern offenbar oft vergessen – oder wird schlicht verdrängt.
Ein geschickter Stratege
Das hat viel mit dem Mann an Ruandas Spitze zu tun, Präsident Paul Kagame. Der 67-Jährige, seit einem Vierteljahrhundert an der Macht, ist ein geschickter Stratege: Er gibt seinen Partnern oft genau das, was sie suchen.
Ein Beispiel ist das – von der neuen britischen Regierung inzwischen sistierte – Migrationsabkommen. Ruanda willigte ein, Migrantinnen und Migranten aufzunehmen, die Europa nicht will – und präsentierte sich damit als Gehilfe, an den ein eigentlich europäisches Problem ausgelagert werden kann.
Ein anderes Beispiel ist das grosse Kontingent an internationalen Friedenstruppen aus Ruanda. Solche sind aktuell etwa in Mosambik stationiert, just in der Region, in der der französische Konzern Total nach Erdgas bohrt.
Das zeigt: Was Kagame dem Westen anbietet, verfängt oft. Und offenkundig ist man im Gegenzug bereit, mindestens ein Auge zuzudrücken, wenn es um schlimme Menschenrechtsverstösse, Konfliktmineralien oder die seit längerem bekannte Unterstützung von Rebellentruppen im Nachbarland geht.
Image als «Singapur Afrikas»
Vielmehr unterstützt man den Kleinstaat gar dabei, sein Image als aufstrebendes «Singapur Afrikas» in die Welt zu tragen. Vor drei Jahren fand der Commonwealth-Gipfel in Kigali statt, dieses Jahr macht die Rad-WM dort Halt, gar ein Formel-1-Rennen ist angedacht.
Auch in der Entwicklungszusammenarbeit ist das autokratische Ruanda seit Jahrzehnten ein geschätzter Partner. Zuletzt floss jährlich mehr als eine Milliarde Dollar in dortige Entwicklungsprojekte.
Dass das repressive politische System mit der üppigen Hilfe von aussen indirekt unterstützt und stabilisiert werden könnte, wird dabei gerne verdrängt.
Geht Kagame jetzt zu weit?
Wird die jüngste Eskalation im Ostkongo etwas ändern an dieser problematischen Nähe vieler westlicher Staaten zu Kagame? Vielleicht. Immerhin haben in den letzten Tagen einige europäische Staaten – etwa Grossbritannien und Deutschland – öffentlich in Betracht gezogen, ihre Entwicklungszusammenarbeit mit Ruanda zu sistieren oder anzupassen.
Aber von der Rhetorik zur Tat ist es manchmal ein weiter Weg. Das zeigt auch das Beispiel der Schweiz, die in den letzten zwei Jahren jeweils über zehn Millionen Franken in Entwicklungsprojekte in Ruanda gesteckt hat.
Das Aussendepartement (EDA) verurteilt in einer Stellungnahme zwar den Angriff der M23-Rebellen im Ostkongo und schreibt, diese sei von Ruanda unterstützt worden.
Auf Nachfrage heisst es aus dem EDA zugleich aber, auf die Schweizer Entwicklungsprojekte in Ruanda habe das vorläufig keinen Einfluss. Denn: «Schlussfolgerungen in Bezug auf die aktuellen Entwicklungen sind zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht.»