Vor dem Eingang des Khair Khana Spitals im Norden Kabuls hat sich eine lange Schlange gebildet. Eine Person nach der anderen wird mittels Lautsprecherdurchsagen hineingerufen. Das Spital mit 102 Betten platze aus allen Nähten, sagt der Direktor Hasib Jibran. Monatlich würden etwa 1600 Patientinnen und Patienten stationär und bis zu 15'000 ambulant behandelt.
Das übersteigt eigentlich die Kapazitäten des öffentlichen Spitals. Vor allem, weil das Geld vom Staat immer knapper wird. Um die Saläre des Personals bezahlen zu können, muss Jibran anderswo sparen. Die Patienten müssen die Medikamente und das Material für ihre Behandlung selbst beschaffen.
Gazen auf dem Bazar kaufen
Im Aufwachraum liegt eine Frau. Sie wurde am Morgen wegen eines Gallensteins operiert. Es gehe ihr gut, sagt sie. Die Operation sei gut verlaufen, sagt auch der Arzt. Doch vor der Operation musste ihre Mutter auf einem speziellen Bazar Medikamente, Gazen und Verbände sowie sterile Handschuhe kaufen, welche für den Eingriff nötig waren. Etwa 10'000 Afghanis habe das gekostet – umgerechnet über 100 Franken.
Das ist viel Geld in einem Land, in dem zwei Drittel der Leute unter der Armutsgrenze leben. Bis vor drei Jahren reichten die öffentlichen Gelder, um diese Kosten zu decken. Jetzt nicht mehr, sagt Jibran. Und das Khair Khana Spital ist bei weitem kein Einzelfall. Afghanistans gesamter Gesundheitssektor müsse Kosten auslagern, sagt Heather Barr von Human Rights Watch. Das habe mit dem Ausfall internationaler Zahlungen zu tun.
Geldgeber sind abgestumpft
75 Prozent des Budgets des Landes stamme von ausländischen Geldgebern. Und diese Gelder hätten in den letzten Jahren markant abgenommen. So gibt die OECD dem afghanischen Gesundheitssektor heute gut ein Viertel weniger als noch 2013. Dies, obwohl die Gewalt im Land seither zugenommen hat.
Barr erklärt dies mit gewissen Abstumpfungserscheinungen der Geldgeber. Nach 20 Jahren Engagement in Afghanistan seien viele Geldgeber frustriert. Doch das sei ein Fehler, denn die heutige Situation in Afghanistan sei eine Folge der Politik genau dieser Länder; der USA und Europas, die seit 2001 im Land den Ton angeben. Die Geberländer müssten nun ihre Verantwortung gegenüber Afghanistan umso mehr wahrnehmen, sagt sie.
Zum Beispiel, indem sie Gelder, die sie durch den Truppenabzug einsparten, in die humanitäre Hilfe steckten. Dies Versprechen auch einige Länder, Deutschland zum Beispiel. Doch Barr befürchtet, dass genau das Gegenteil passiert: Dass der Westen Afghanistan den Rücken kehren werde, sobald die Truppen abgezogen sind. Das habe sie in verschiedenen Gesprächen in Kabul festgestellt: Niemand mache im Moment konkrete Verpflichtungen.
Fehlende Sicherheit als Begründung
Selbst Zahlungen, die an der letzten Geberkonferenz in Genf versprochen wurden, seien heute nicht mehr in Stein gemeisselt, sagt sie. Viele der Geldgeber würden die fehlende Sicherheit in Afghanistan als Grund angeben, warum sie künftig vielleicht nicht mehr dasselbe leisten könnten. Das wäre verheerend. Denn gerade in instabilen Zeiten sind internationale Gelder nötig.
Spitalleiter Jibran hofft, dass die Gelder zumindest nicht noch knapper werden. Wenn zusätzlich zu den Truppen auch die Hilfsgelder aus Afghanistan abfliessen würden, würde dies das öffentliche Gesundheitswesen von Afghanistan in grosse Bedrängnis bringen, und somit auch Spitäler wie seines.