Pakistan hat eigentlich eine lange humanitäre Tradition. Es hat über Jahrzehnte afghanische Flüchtlinge aufgenommen, die vor den dauernden Bürgerkriegen geflohen waren. Pakistan brach 2016 aber mit dieser Tradition. Wegen politischer Unstimmigkeiten mit Kabul schickte es in den letzten Jahren mehr als 1,3 Millionen Afghanen zurück, in das vom Krieg zerrüttete Land.
Die Hütte hat Leila-Ma selber gezimmert
So auch die Familie von Leila-Ma. Sie sitzt mit ihren beiden Kindern auf leeren Zementsäcken, die sie über den Boden ihrer Hütte ausserhalb Kabuls ausgebreitet hat. Sie bietet Tee an, der in einer Blechkanne kocht, die sie direkt über die Flamme aus der Gasflasche gestellt hat. Strom gebe es keinen, sagt Leila-Ma. Die Hütte habe sie zusammen mit Verwandten selber gezimmert.
«In Pakistan war es besser», erinnert sich Leila-Ma. Dort hatte sie ein richtiges Haus, mit Strom und Wasserleitungen. Doch seit ihrer Rückkehr vor ein paar Monaten ist die Hütte hier ihr Zuhause. In den Ecken der liegen Taschen, ihre Kleider sind an einer Schur der Wand entlang aufgehängt.
Und, eingewickelt in einen Teppich, schmückt als einziger Gegenstand, neben der Gasflasche, eine alte, schwere Nähmaschine den kleinen Wohnraum. Nach dem Tod ihres Mannes verdiente Leila-Ma als Schneiderin in Pakistan ein knappes Einkommen. Doch die Polizei schloss ihr Geschäft diesen Frühling und schickte sie weg. «Weil ich keine Papiere hatte und somit auch keine Arbeitserlaubnis», sagt Leila-Ma.
Die Reise musste Leila-Ma selber finanzieren
Leila-Ma und ihre beiden Söhne waren drei von insgesamt über zweieinhalb Millionen afghanischen Flüchtlinge in Pakistan. Deren Papiere wurden bisher nie kontrolliert, doch seit 2016 Grenzstreitigkeiten ausbrachen und der afghanische Präsident Ashraf Ghani Pakistan vermehrt kritisierte, übt Pakistan Druck gegenüber den Flüchtlingen aus.
20'000 Rupien, umgerechnet 160 Franken, bezahlte Leila-Ma für die Überfahrt, auf der Ladefläche eines Lastwagens. Mit diesem fuhren sie von Peschawar über den Chaiber-Pass nach Dschalalabad und schliesslich nach Kabul. Mit dabei, die gusseiserne Nähmaschine. Sie ist Leila-Mas kostbarstes Gut. Durch sie hofft sie, in Kabul wieder Arbeit zu finden. Im Moment wird sie von ihren Verwandten und der Internationalen Organisationen für Migration (IOM) unterstützt.
Die allermeisten haben keine Ausbildung
Eine der grössten Herausforderungen für die Rückkehrer sei es, in ihrem Heimatland eine Arbeit zu bekommen, sagt Nicholas Bishop von der IOM: «Etwa 80 Prozent der Rückkehrer sind schlecht ausgebildet. Sie arbeiten als Tagelöhner.» Deshalb suchen die meisten Rückkehrer aus Pakistan ihr Glück in einer der Städte Afghanistans. Rund 20 Prozent von ihnen kommen bis nach Kabul. Sieben von zehn bleiben in Dschalalabad, der Provinzhauptstadt von Nangarhar, nahe der pakistanischen Grenze.
Viele können nicht in ihr Heimatdorf zurück. Das macht sie zu intern Vertriebenen.
Dschalalabad könne den Zustrom kaum absorbieren, sagt IOM-Mitarbeier Bishop. «Es ist jene Stadt in Afghanistan, die in den letzten drei Jahren am stärksten gewachsen ist – wegen der Rückkehrer aus Pakistan.» Der Zustrom liess die Wohnungsmieten explodieren und die Löhne in den Keller rasseln. Hinzu kommt, dass in Dschalalabad auch regelmässig Bombenattentate verübt werden. Die Taliban und der «Islamische Staat» liefern sich dort eine Art Privatkrieg.
Da knapp ein Drittel der Gebiete in Afghanistan umkämpft sind, können viele Rückkehrer nicht in ihr Heimatdorf zurück. Oder sie werden von dort gleich wieder vertrieben. «Das macht sie nach ihrer Rückkehr zu intern Vertriebenen», sagt Bishop.
Zwei Drittel des Lohnes für die Wohnungsmiete
Schwenk in einen anderen Stadtteil Kabuls: Kinder toben um Habibas Haus. Sie spielen mit Insekten, die sie mit Blättern und kleinen Stöcken jagen. Im dunklen Wohnzimmer auf einem Teppich sitzt Habiba, im Arm ihr letztgeborenes: Auch ihre Familie konnte nicht in ihr Dorf in Logar im Süden Afghanistans zurückkehren. Der Grund dafür erklärt Habiba in einem Wort: «Krieg.»
Ihr Mann arbeite als Lehrer in einer öffentlichen Schule. Die Taliban denken, er sei ein Spion der Regierung. In ihr Dorf zurückzukehren wäre deshalb lebensgefährlich. Da ihr Mann ein Einkommen hat, kann sich die Familie eine richtige Wohnung am Stadtrand von Kabul leisten. Habiba möchte gerne hier bleiben, doch seien die Kosten in Afghanistan viel höher als in Pakistan.
Allein die Wohnungsmiete verschlingt zwei Drittel des Einkommens ihres Mannes. Der afghanische Präsident Ashraf Ghani warb in Pakistan um gebildete Leute wie ihren Mann. Sie sollten nach Afghanistan zurückkehren und mithelfen, das Land aufzubauen, sagte er. Habibas Familie folgte Ghanis Ruf, doch heute ist sie enttäuscht: Das sei nur Geschwätz. «Die Regierung ist nur mit sich selbst beschäftigt», stellt sie fest. Unterstützung für jene, die in das Land zurückkehren, gebe es praktisch keine vom Staat.