Das Wichtigste in Kürze:
- Seit Juni 2016 duldet Pakistan keine Flüchtlinge mehr ohne Pass und ohne Visum.
- Pakistan schickt afghanische Flüchtlinge in ihr Heimatland zurück. Doch diejenigen, die schon zurückgekehrt sind, leben unter widrigen Umständen.
- In Afghanistan wird nach wie vor in vielen Provinzen gegen die islamistischen Taliban gekämpft.
Der Sektor I 12 in der Planstadt Islamabad ist ein Flüchtlingscamp aus Lehmhütten. Ein Junge bindet einen Plastiksack an eine Schnur und lässt den selbstgebastelten Drachen im Wind tänzeln.
Überall im Lager finden die auffallend vielen Kinder Abfall, aus dem sie Spielzeug basteln. Es sind dies zum Beispiel Petflaschen, Fahrradreifen oder ausgeleierte Kricketbälle.
«Wenigstens Frieden»
Ohne Wasser und ohne Strom ist Sektor I 12 kein Ort, an dem man lange verweilen möchte, ausser, die Alternative ist noch schlechter: «Hier ist wenigstens Frieden», sagt Sultan Mahmud aus Kundus im Norden Afghanistans.
Er gehört zu den 1,3 Millionen registrierten Flüchtlingen. Vor 30 Jahren ist er vor dem Krieg nach Islamabad geflohen. Seine UNHCR-Registrierungskarte, sein wichtigstes Dokument im Exil, soll Ende Jahr die Gültigkeit verlieren, spätestens dann muss er zurück.
Lieber aber würde er bleiben, denn die Leute die schon gegangen seien, lebten unter widrigsten Bedingungen, wie er sagt. In der Hälfte der Provinzen in Afghanistan wird gekämpft. Das Verfalldatum der Registrierungskarten wurde schon mehrmals herausgezögert, diesmal scheint es Pakistan aber ernst zu meinen. Banken lösen afghanische Konten auf, Mobilfunkbetreiber sperren ihre Sim-Karten.
Sie können in einer schwierigen Lage in Pakistan bleiben oder in eine andere schwierige Lage nach Afghanistan zurückzukehren.
Seit Juni nicht mehr ohne Pass geduldet
Sultan Mahmud hat noch etwas Zeit, anders ergeht es der etwa einer Million nicht registrierter Afghanen in Pakistan. Sie müssen das Land sofort verlassen, müssten eigentlich schon weg sein. Denn letzten Juni führte Pakistan Pass- und Visapflicht ein, bisher waren sie ohne Pass und ohne Visum in Pakistan geduldet.
Die neue Regelung führte in Peschawar zu Auseinandersetzungen zwischen Afghanen und der Polizei. Der Chefkommissar der pakistanischen Regierung für afghanische Flüchtlinge, Imran Zeb, bestätigt die Vorfälle. Er will aber nicht von Ausschaffungen sprechen. Er spricht lieber von Anreizen, schliesslich werde niemand deportiert.
Eine halbe Million Menschen sind zurückgewandert
Während von Januar bis Juni letzten Jahres 8000 Afghanen in ihre Heimat zurückkehrten, waren es in der zweiten Jahreshälfte, also seit der Einführung der Passpflicht, über eine halbe Million. Sie seien freiwillig ausgereist, wie Zeb erklärt.
Das ist schwer zu glauben, da sich die Situation während dieser Zeit in Afghanistan nicht sprunghaft verbessert hat. Der Chefkommissar relativiert, dass die Afghanen die freie Wahl hätten. «Sie können in einer schwierigen Lage in Pakistan bleiben oder in eine andere schwierige Lage nach Afghanistan zurückzukehren», antwortet Zeb etwas lapidar.
Grenze war durchlässig
Die Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan war bisher durchlässig. Afghanische Händler konnten frei hin- und herreisen. Das half aber auch afghanischen Terroristen, sich in Pakistan zu verstecken. Pakistan könne nicht das eine zulassen und das andere verhindern, so Zeb.
Afghanen, die in Camps wie jenes im Sektor I 12 in Islamabad leben, stehen aber auch unter dem Generalverdacht, Kleinkriminelle oder Arbeitslose zu sein. Sultan Mahmud weiss, dass er und seine Familie nicht mehr willkommen sind. Er zerbricht sich den Kopf, wie er die Rückreise finanzieren soll. Umgerechnet 1500 Franken kostet ein Lastwagen. Das ist viel Geld.
Unterstützung verdoppelt
Das UNO-Flüchtlingshilfswerk hat deshalb die finanzielle Unterstützung für Rückkehrer von 200 Dollar pro Person auf 400 verdoppelt. Duniya Aslam Khan, der Sprecherin des UNHCR in Islamabad, sagt, dass dies auch ein Grund für die enorme Rückkehrerwelle sei, wenn nicht sogar der Hauptgrund.
Das bringt das UNHCR ins Kreuzfeuer. Verschiedene NGO in Afghanistan sowie Human Rights Watch kritisieren das UN-Flüchtlingshilfswerk, es schaffe so Anreize für Afghanen, in ihre Heimat zurückzukehren, obwohl es die Sicherheitslage dort noch gar nicht zulasse.
Ich bleibe hier oder gehe in ein anderes Land. Nach Afghanistan gehe ich nicht.
Duniya Aslan Khan rechtfertigt den Entscheid damit, dass es sich um eine lang gehegte Forderung der Exilafghanen handle. Sie solle jenen helfen, die sich bereits entschieden hätten, zurückzukehren.
Hierbleiben oder anderswohin gehen
Viele, gerade junge Afghanen wollen aber unter keinen Umständen in ihre Heimat zurück, wie dieser Gemüsehändler: «Hier verdiene ich immerhin vier Franken am Tag, in Afghanistan habe ich keine Aussichten. Ich bleibe hier oder gehe in ein anderes Land», sagt er. «Nach Afghanistan gehe ich nicht.»