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Rücktritt des Premierministers Der durchschaubare Versuch, in Serbien die Proteste zu beruhigen

Am Morgen ist der serbische Premierminister Miloš Vučević zurückgetreten. Gleichzeitig kündete er den Rücktritt des Bürgermeisters von Novi Sad an.

Mit seinem Rücktritt wolle er verhindern, dass die Spannungen in der Gesellschaft weiter zunähmen, sagte Vučević zu seinem Rücktritt.

Vucevic fasst sich an die Brille, während er vom Rednerpult schreitet.
Legende: Serbiens Premier muss den Hut nehmen. Doch das wird nicht reichen, um im Land den Druck aus dem Kessel zu lassen. EPA/ANDREJ CUKIC

Er begründete ihn mit einem Angriff von vermummten Schlägern auf eine Studentin am Vorabend. Die Angreifer sind vermutlich Mitglieder der regierenden Fortschrittspartei.

In den letzten Wochen gab es immer wieder solche Angriffe auf die Protestierenden. Doch die Menschen liessen sich nicht einschüchtern. Im Gegenteil: Die Angriffe haben die Empörung im Land weiter angestachelt.

Nichts ohne Vučićs Zustimmung

Dies scheint Präsident Aleksandar Vučić erkannt zu haben. Er ändert nun die Taktik, wie er es schon früher in ähnlichen Situationen gemacht hat.

Denn klar ist: Von sich aus ist Vučević nicht zurückgetreten. Nichts passiert in Serbiens Politik ohne die Zustimmung von Aleksandar Vučić. Der Präsident kontrolliert nicht nur das Land, sondern auch seine Partei.

Der Rücktritt vom Premierminister ist daher der durchschaubare Versuch des Präsidenten, mit einer Personalrochade Druck aus dem Kessel zu nehmen und so den Schaden von sich selbst fernzuhalten.

Von Volleyball bis Spanferkel

Allerdings hat sich in diesem Kessel viel Druck angestaut. Was vor bald zwei Monaten als Protest von Studentinnen und Studenten angefangen hat, entwickelt sich gerade zum Volksaufstand. Die Menschen verlangen die Aufklärung des Bahnhofunglücks von Novi Sad, und dass die Verantwortlichen juristisch zur Verantwortung gezogen werden.  

Wie breit abgestützt der Protest mittlerweile ist, zeigte sich zuletzt in Belgrad: 24 Stunden lang blockierten Studierende eine der Hauptverkehrsachsen der Hauptstadt. Dabei versammelten sich erneut zehntausende Menschen.

Die Bilder zeigen einen bunten Querschnitt durch Serbiens Gesellschaft: Bauern, junge Studentinnen und Rentner, Familien mit ihren Kindern. Es wurde Volleyball gespielt und Spanferkel gebraten.

Prominentestes Regierungsmitglied

Das passt so gar nicht zum Bild, das die Regierung von den Protesten zeichnet. Diese seien vom Ausland gesteuert, sagte Miloš Vučević am Morgen. Das Unglück von Novi Sad werde für politische Zwecke missbraucht. Versöhnliche Worte – oder gar das Übernehmen von Verantwortung – klingen anders.

Milos Vučević ist mittlerweile das dritte Regierungsmitglied, das in der Folge des Bahnhofeinsturzes von Novi Sad gehen muss. Doch es ist der bislang prominenteste Rücktritt.

Aleksandar Vučić und seine Partei haben realisiert, dass sich die Proteste nicht einfach so aussitzen lassen. Gestern Abend hat Vučić an einer Pressekonferenz den Protestierenden einen Dialog angeboten.

Doch beides – Vučićs Angebot und Vučević Rücktritt – kommen spät und verfehlen die Forderungen der Protestierenden. Daher sind bereits neue Proteste angekündigt.

Janis Fahrländer

Auslandredaktor

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Janis Fahrländer ist Redaktor in der Auslandredaktion von Radio SRF. Dort ist er zuständig für die Berichterstattung über die Balkanstaaten.

SRF 4 News, 28.01.2025, 12:00 Uhr

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