Jung, smart und eloquent: Im zarten Politikeralter von 43 schaffte es Justin Trudeau zum kanadischen Premierminister. Neun Jahre später gibt er seinen Rücktritt als Parteichef bekannt. Sobald die Nachfolge geregelt ist, will er auch als Premier abtreten. SRF-Korrespondent Andrea Christen über den Aufstieg und Fall des einstigen Wunderkindes der kanadischen Politik.
Warum tritt Trudeau gerade jetzt zurück?
Er war schon länger unter Druck. Eine Art Todesstoss war der Rücktritt von Chrystia Freeland im Dezember. Die Finanzministerin und Vize-Premierministerin war einst eine enge und wichtige Verbündete von Trudeau, hat sich dann aber mit ihm überworfen. Seither sind die Stimmen aus Trudeaus eigener Fraktion im Parlament, die ihn zum Rücktritt aufforderten, immer lauter geworden. Die Liberale Partei hat im letzten Jahr mehrere Ersatzwahlen verloren und liegt in den Umfragen weit zurück. Es hat sich abgezeichnet, dass Trudeau eine Vertrauensabstimmung verlieren würde, sobald das Parlament wieder zusammentritt.
Dazu kommt: Der US-Präsident heisst in zwei Wochen wieder Donald Trump. Er hat Kanada hohe Einfuhrzölle angedroht. Diese würden die kanadische Wirtschaft empfindlich treffen. Es war fraglich, ob Trudeaus Regierung eine geeinte Front präsentieren können würde, um dieser Bedrohung zu begegnen. Trudeau hat sich über die Festtage Bedenkzeit genommen. Am Ende war wohl vor allem die parteiinterne Revolte ausschlaggebend, dass er nach neun Jahren im Amt zurücktritt.
Wie geht es nun weiter?
Trudeau hat nicht nur seinen Rücktritt erklärt, er hat auch das Parlament bis gegen Ende März vertagt. Er verschafft seiner Partei damit Zeit: Sie wird nun versuchen, eine neue Parteichefin oder einen neuen Parteichef zu finden. Die Liberalen entziehen sich damit vorerst auch einer Vertrauensabstimmung, die die Trudeau-Regierung gestürzt und Neuwahlen ausgelöst hätte. Es wird in diesem Jahr in jedem Fall Neuwahlen geben, spätestens im Herbst – wahrscheinlich aber schon früher.
Es ist schon lange offensichtlich, dass Trudeau viel von seinem Glanz verloren hat.
Derzeit sieht es so aus, als würde die Liberale Partei mit Trudeau auf eine massive Niederlage an der Urne zusteuern. Sie will diese nun abwenden, indem sie den Spitzenkandidaten austauscht. Mit Blick auf die Umfragen ist es allerdings gut möglich, dass der Parteichef der Konservativen, Pierre Poilievre, Kanadas nächster Premierminister wird.
Wie konnte Trudeau so an Rückhalt verlieren?
Der junge Politstar und Sohn eines Premierministers hat die Liberale Partei 2013 übernommen. Die Mitte-links-Partei schien damals fast schon am Ende – drei Jahre später hat sie Trudeau mit einem überragenden Sieg zurück an die Macht geführt. Er hat heute auf seine Leistungen im Amt verwiesen: seinen Kampf für den Mittelstand, gegen den Klimawandel, die Aussöhnung mit den Indigenen oder die Unterstützung für die Ukraine. Aber es ist schon lange offensichtlich, dass Trudeau viel von seinem Glanz verloren hat.
Schon 2019 verlor seine Partei die Parlamentsmehrheit, er führte Kanada durch die harten Pandemiejahre – einige seiner damaligen Entscheidungen wurden kritisiert. Zudem schadeten ihm einige kleinere und grössere Skandale. Von den Konservativen wird Trudeau wegen einer CO₂-Abgabe besonders heftig attackiert. Nach der Pandemie plagten Inflation, hohe Lebenshaltungskosten und knapper Wohnraum die Menschen im Land. Es zeichnet sich ab, dass sich viele in Kanada einen Wandel wünschen – weg von Trudeau. Ob er auch weg von der Liberalen Partei führt, wird sich zeigen.