Die Krise in Frankreichs Gesundheitswesen dauert an. Seit Monaten protestiert das Personal gegen schlechte Arbeitsbedingungen und tiefe Löhne, klagt über Personalmangel, übermässig lange Arbeitszeiten und Engpässe beim Material. Mehrmals versprach die Regierung Verbesserungen. Doch all ihre Vorschläge wurden als ungenügend zurückgewiesen – nicht nur vom Personal, sondern auch in seltener Einigkeit durch die Spitaldirektoren.
Wie schlecht die Stimmung beim Spitalpersonal ist, musste Präsident Emmanuel Macron persönlich erfahren, als er vor zehn Tagen die Klinik Pitié-Salpêtrière im Stadtzentrum von Paris besuchte, um eine Leistungsprämie von 1000 bis 1500 Euro für aufopfernde Arbeit anzukündigen. Doch statt Applaus erntete der Präsident beim Personal heftige Kritik.
Frankreich beim Lohn Schlusslicht
Er mache schöne Worte, halte aber seine Versprechen nicht ein, monierten sie. Um die Situation zu beruhigen, gestand Macron sogar ein, seine Regierung habe im Gesundheitswesen strategische Fehler gemacht.
Beim Lohn für das Pflegepersonal ist Frankreichs Nachholbedarf im internationalen Vergleich nachgewiesen. Diese Löhne sind deutlich tiefer als in den Nachbarländern – nicht nur gegenüber Deutschland und der Schweiz. Frankreich liegt auch deutlich hinter Spanien, Irland oder der Türkei zurück.
Doch es gehe nicht nur um Lohnerhöhungen für die schlecht bezahlten Spitalberufe, sagt Neurochirurg François Salachas von der Klinik Pitié-Salpêtrière im Interview mit dem französischen Radio. Ebenso wichtig sei, dass nicht weitere Spitalbetten abgebaut würden, um Kosten zu senken.
Es brauche auch generelle Verbesserungen bei Infrastruktur und den Arbeitsbedingungen, auch damit es wieder einfacher werde, qualifiziertes Personal zu finden, was dringend nötig wäre. Allein in Paris müssen derzeit Hunderte von Betten ungenutzt bleiben, weil das notwendige Personal fehlt.
Sieben Wochen für Gespräche
Aber auch die zentralistische Organisation von Frankreichs Gesundheitswesen, eine Umverteilung von Kompetenzen an Regionen und Spitäler steht zur Diskussion, damit diese flexibler handeln können. Eine ganze Menge grosser Fragen soll ein runder Tisch beraten, der sogenannte Ségur de la Santé. Innerhalb von bloss sieben Wochen soll die Gesprächsrunde Vorschläge für Verbesserungen machen.
Ein ambitioniertes Unterfangen. Das Absturzrisiko ist gross. Chirurg Salachas nimmt als Vertreter einer Berufsorganisation an der Runde teil. Er sieht dennoch eine Chance, dass die Operation gelingen könnte, und eine einzigartige Gelegenheit für Gesundheitsminister Olivier Véran und Macron sein könnte, wieder Vertrauen beim Personal zu schaffen.
Die Krise habe der Bevölkerung gezeigt, wie gross die Notlage im Gesundheitswesen sei. Dahinter steht offenbar die Hoffnung, dass die Krise genügend politischen Druck geschaffen hat, damit Regierung und Parlament das Budget für das Gesundheitswesen um vier bis fünf Milliarden Euro erhöhen könnten – in einem Gesamthaushalt, der in diesem Jahr durch die Coronakrise bereits mit über vierzig Milliarden Euro belastet wird.