Am Bahnhof von Maslowka hat der schwere Militärtransport Spuren hinterlassen: Der weiche Boden neben Bahngeleisen und Perron ist von tiefen Furchen durchzogen. Seit Ende März kursieren in sozialen Medien Videos, wie hier rund 600 Kilometer südlich von Moskau, Waggons mit Soldaten und Militärtechnik ankommen.
Anfang April ist die Ansammlung russischer Truppen in der Nähe von Maslowka derart angewachsen, dass die Zelte und Militärfahrzeuge zwischen Wäldern und Wiesen auf Satellitenbildern deutlich erkennbar sind. Keine 250 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, sorgt dies in Kiew und auf internationaler Ebene für Besorgnis. Wir entscheiden uns, vor Ort ein Bild zu machen.
Namenlose Behörden kontrollieren uns
Kaum haben wir unsere Kamera neben den Gleisen auf das Stativ gestellt, spricht uns ein Mann in ziviler Kleidung an: Ob wir unsere Drehbewilligung vorweisen könnten. Bei welcher Behörde er arbeitet, möchte er uns nicht sagen. Er sei zuständig dafür, uns zu kontrollieren. Das Gesetz verpflichtet Behörden in Russland eigentlich, sich bei einer Kontrolle vorzustellen.
Da uns nicht klar ist, wem wir unsere Akkreditierung vorweisen sollen, weigern wir uns. Er werde unseretwegen nun «anrufen» und «informieren», erklärt er, bevor er in Richtung Bahnhofshäuschen davonhuscht. Wir wollen uns Ärger ersparen und verlassen den Bahnhof. Wie wir später hören, fahren kurz darauf zwei Fahrzeuge der Militärpolizei vor. Diese Atmosphäre begleitet uns während des ganzen Besuchs.
Mit Panzern gegen die Pandemie?
Warum seit mehreren Wochen Truppen in Maslowka ankommen, wird weder von der russischen Regierung noch vom Verteidigungsministerium schlüssig kommentiert. Auf die Frage, zu welchem Zweck Russland Truppen ins Grenzgebiet zur Ukraine schicke, sagte Kreml-Sprecher Peskow im März, es handle sich um eine Angelegenheit Russlands, wohin es seine Truppen innerhalb der Landesgrenzen schicke.
Gegenüber lokalen Medien der Grenzregion Woronesch erklärt das Verteidigungsministerium, die Truppen in der Nähe von Maslowka seien für Übungen in Zusammenhang mit der Pandemie angereist. Während wir am Tag darauf ein zweites Mal am Bahnhof vorbeifahren, werden vor unseren Augen Panzer von der Schiene verladen.
Weiter erklärte Russlands Verteidigungsminister diese Woche, dass Russland zur Selbstverteidigung eine Anzahl von Truppen in die Grenzregionen zu Europa gebracht habe. Ob dazu auch diese Truppen gehören, die wir in Maslowka sehen, bleibt unklar.
Weder Blogger noch Agenten
Durch Satellitenbilder sind die Koordinaten des neuen Militärlagers bekannt, aber wir könnten uns vor Ort ebenso an den Autos der Militärpolizei orientieren, die beinahe an jeder zweiten Kreuzung Patrouille stehen. Auf einem Feldweg kommen uns Männer in Jogginghosen entgegen. Sie tragen keine Uniform, dafür kurz geschorene Haare.
Während wir aus dem Auto die Landschaft filmen, taucht im Rückspiegel die Militärpolizei auf. Bei der nächsten Kreuzung folgt eine längere Diskussion mit Militärpolizisten, die zur Kontrolle von Zivilisten grundsätzlich nicht befugt sind. Wir hören, wie gefunkt wird: «Hier sind irgendwelche Blogger unterwegs.» Nach meinem dritten Satz auf Russisch ziehen sich die Augenbrauen des Mannes in Uniform zusammen: «Wo sind Sie geboren?».
In Russland herrscht seit Sowjetzeiten Angst vor Ausländerinnen und Ausländern. Mit Gesetzen, mit denen unabhängige Medien in Russland zu «ausländischen Agenten» erklärt werden können, befeuert Wladimir Putin diese Ängste ganz gezielt. Ebenso gezielt scheint die russische Regierung mit den Truppen im Grenzgebiet zur Ukraine Ängste schüren zu wollen. Russland macht aus den Truppenverschiebungen keinen Hehl, sondern nimmt in Kauf, dass die Welt davon erfährt. Die Militärpolizei lässt uns ohne Erklärung wieder fahren.
Grossmütterchens Albtraum
Vor Ort gehören die Soldaten zum Strassenbild, erzählt uns Angelina: «Es ist wie eine neue seltsame Tradition: Du gehst einkaufen und überall hat es Soldaten.» Doch auch ihr bleibt es ein Rätsel, wozu die Truppen unweit des Dorfes ihre Zelte aufgeschlagen haben: «Mein Vater ist ehemaliger Militär. Auch er versteht nicht, wozu die alle hier sind.»
Mit der Zahl russischer Soldaten im Grenzgebiet wächst längst nicht nur in der Ukraine das Unbehagen. «Soldaten beruhigten mich: ‹Keine Sorge, Grossmütterchen! Wir sind für Übungen hier. Nicht für Krieg.› Ich hatte Angst, denn ich erinnere mich noch an den Zweiten Weltkrieg und den Hunger», erzählt uns Tamara Grigorewna auf ihrem Nachhauseweg vom Einkaufen.
Soldaten beruhigten mich, ich müsse mir keine Sorgen machen, sie seien für Übungen hier. Nicht für Krieg.
Hinter uns rollt die nächste Wagenkolonne in olivgrün über die Dorfstrasse. Die russische Regierung unternimmt demonstrativ keine Anstrengungen, um die Sorgen vor einer Eskalation zu entkräften.