Wenn man als russischer Botschafter ins deutsche Aussenministerium «einbestellt» wird, wie es in der Diplomatensprache heisst, dann ist das etwa so, wie wenn man in der Schule beim Spicken erwischt wird und der Lehrer den Missetäter öffentlich blossstellt. Zwar peinlich, aber es gäbe noch schärfere Sanktionen.
Nur geht es in diesem Fall nicht ums Spicken, sondern um einen schweren Hackerangriff auf den deutschen Bundestag im Jahr 2015. Auch das Büro von Bundeskanzlerin Merkel war betroffen. Zur Schadenseindämmung musste der gesamte Bundestag mehrere Tage vom Netz genommen werden.
Kreml für Hackerangriff verantwortlich
Wenn der russische Botschafter jetzt ins deutsche Auswärtige Amt einbestellt wird, wenn die deutsche Seite von «belastbaren Hinweisen» spricht und den Hackerangriff «aufs Schärfste» verurteilt, kann man sich sicher sein, dass Berlin zu 100 Prozent von der Schuld des Kremls überzeugt ist.
Russland greift westliche Demokratien mit hybriden Mitteln an – darunter auch Deutschland.
Und das ist nicht alles: Im vergangenen Sommer wurde keine zwei Kilometer vom Kanzleramt entfernt in Berlin ein Tschetschene ermordet. In Haft ist ein russischer Profikiller, der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen an sich gezogen. Auf Deutsch heisst das: Berlin ist sich sicher, dass Moskau zumindest sein Einverständnis für den Mord gegeben hat. Ein Mord im Zentrum der deutschen Hauptstadt, am helllichten Tage.
Der Kreml wird die Botschaft verstehen
Legt man das alles auf die Waage, dann ist die deutsche Reaktion mit der Einbestellung des russischen Botschafters sehr moderat. Aber gerade, weil Bundeskanzlerin Merkel keine Frau der lauten, aber auch nicht der leeren Worte ist, wird Moskau die Botschaft verstehen: Passt auf.
Gestern Abend legte Merkel in einer Videoansprache dar, welche aussenpolitischen Prioritäten sie für die bevorstehende EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands setzt. Nicht überraschend outete sie sich einmal mehr als Anhängerin des Multilateralismus. Man muss also mit allen reden, auch mit Russland.
Vorerst kein Ende der Sanktionen
Doch sie bezeichnete die Annexion der Krim nach wie vor als das, was sie ist: eine völkerrechtswidrige Annexion. Sie sprach auch von einer russischen Marionettenregierung in der Ostukraine. Und sie sagte: «Russland greift westliche Demokratien mit hybriden Mitteln an – darunter auch Deutschland.»
Ohne Fortschritte im Minsk-Prozess müssen wir die Sanktionen aufrechterhalten.
Und obwohl der Ruf nach einer Aufhebung der Russlandsanktionen in Europa und Deutschland immer lauter wird, blieb Merkel auch gestern hart. «Falls Fortschritte im Minsk-Prozess ausbleiben, müssen wir die bestehenden Sanktionen aufrechterhalten.»
Merkel ist eine Globalpolitikerin geworden
Merkel schlägt die politische Türe nie endgültig zu. Der Grund ist, dass sie seit der Flüchtlingskrise 2015 nicht bloss Europa, sondern die ganze Welt im Blick hat. Sie hat sich zu einer Globalpolitikerin gewandelt. So ist Afrika zu einem Schwerpunkt ihrer Politik geworden.
Auch in der Coronakrise hat sie deutlich mehr als nur Deutschland und die Europa im Blick. Nicht Deutschland alleine, nicht Europa alleine könne das Flüchtlingsproblem oder die Corona-Pandemie lösen, ist sie überzeugt. Wer aber so global denkt, muss mit allen politischen Akteuren im Gespräch bleiben. Auch, wenn sie Putin heissen.