Der russische Präsident Wladimir Putin verurteilt Israel und seine Verbündeten wegen des Beschusses des Gazastreifens. Zudem sieht er Russland als möglichen Friedensvermittler im Nahost-Krieg. Das mag ironisch klingen, aber der Kreml verfolge damit eine eigene Agenda, erklärt Russland-Experte Ulrich Schmid.
SRF: Wie positioniert sich Russland im Krieg im Nahen Osten?
Ulrich Schmid: Russland hat sehr schnell Partei für die Palästinenser ergriffen. Das zeigt sich auch in der Berichterstattung der russischen Staatsmedien. Das Leid der palästinensischen Bevölkerung steht im Fokus. Israel kommt eigentlich nur im Hintergrund vor.
Im Nahen Osten hat der Kreml eine Gelegenheit erblickt, um sich als globaler Player zu präsentieren.
Die politischen Nachrichtensprecher und auch die politischen Talkshows sagen, dass der «kollektive Westen», angeführt von den USA, verantwortlich für den Krieg im Nahen Osten sei. Damit ist man wieder im üblichen Narrativ, das man auch auf den Krieg in der Ukraine anwendet.
Welches Interesse hat Russland dabei?
Die russische Aussenpolitik achtet sehr aufmerksam auf jede Gelegenheit, die sich in der tagesaktuellen Politik ergibt. Man sieht einen Konfliktherd auf der Welt und erkennt sofort Chancen. Putin hat immer wieder gesagt, dass er eine neue multipolare Weltordnung errichten will, um die «globale Diktatur» der USA und des «kollektiven Westens» zu durchbrechen. So heisst es in der offiziellen Propaganda.
Das tut Russland auf verschiedenen Schauplätzen. Im Nahen Osten hat der Kreml eine Gelegenheit erblickt, um sich als globaler Player zu präsentieren – sowie als verlässlicher Verbündeter der arabischen Staaten.
Was heisst das für die russische Beziehung zu Israel?
Die Beziehungen zwischen Russland und Israel waren bisher einigermassen gut. Das liegt auch daran, dass Putin und Netanjahu eine ähnliche Vorstellung davon haben, wie man einen Staat regieren soll und welche Werte in einer Gesellschaft herrschen sollen.
Jetzt scheint Putin gewillt, das Verhältnis zu Israel zu beschädigen.
Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hat Israel beispielsweise keine Sanktionen gegen Russland verhängt. Israel hat auch abgelehnt, der Ukraine Raketenabwehr-Technologie zu liefern. Jetzt scheint Putin gewillt, das Verhältnis zu Israel zu strapazieren. Aber er muss dabei vorsichtig sein.
Wie steht Russland zur Hamas?
Russland hat eine gute Beziehung zur Hamas und sieht sie nicht als Terrororganisation. Als die Hamas 2006 die Wahlen im Gazastreifen gewonnen hat, hat Russland das Resultat anerkannt. Mitte Oktober war auch eine Hamas-Delegation in Moskau. Putin hat sie zwar nicht persönlich empfangen, aber es war trotzdem ein deutliches Signal. Dementsprechend gross war der Ärger in Israel.
Wie profitiert Putin vom Krieg im Nahen Osten?
Der neue Krieg spielt Putin ganz klar in die Hände, weil jetzt viel Aufmerksamkeit von der Ukraine abgezogen wird – und nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Militärhilfe. Er spielt auf Zeit und wartet darauf, dass dem Westen bei der militärischen Unterstützung der Ukraine der Atem ausgeht.
Profitiert Putin auch innenpolitisch?
Im Moment kann Russland in der Ukraine keine grossen Geländegewinne erzielen. Das ist ein Problem im Vorfeld der Präsidentschaftswahl im März 2024. Wenn er in der Ukraine keinen Sieg vorweisen kann, braucht er etwas anderes. Wenn es ihm gelingt, zwischen Israel und der Hamas zu vermitteln, wäre das ein politischer Leistungsausweis. Er könnte sich vor der russischen Öffentlichkeit als grosser Friedensstifter im Nahen Osten präsentieren.
Das Gespräch führte Jessica Kobler.