Schwarz auf weiss bewiesen ist es bisher nicht, doch die EU sieht es als sehr wahrscheinlich an, dass der Kreml hinter der Vergiftung des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny steckt. Brüssel hat deshalb Sanktionen gegen Gefolgsleute von Präsident Wladimir Putin, wie Sergej Kirienko, beschlossen.
SRF News: Wer ist auf dieser Liste am auffälligsten?
David Nauer: Am meisten fällt der stellvertretende Leiter der Präsidialadministration, Sergej Kirienko, auf. Dieser leitet nach den Vorgaben von Kremlchef Putin quasi die Innenpolitik, und ist unter anderem zuständig für Parteien und die Durchführung der Wahlen und wer kandidieren darf. Indem die EU Kirienko auflistet, sagt sie eigentlich, dass der Kreml Nawalny vergiftet hat und nicht irgendwelche dunklen Geheimdienste. Die EU trifft Kirienko, meint aber Putin.
Die EU trifft Kirienko, meint aber Putin.
Auch auf der Liste ist etwa Putins Sibirien-Beauftragter Sergej Menjajlo. Nawalny wurde in Sibirien vergiftet. Weiss die EU mehr, als sie verrät?
Nein, oder wenn sie mehr wüsste, würde sie es für sich behalten. In diesem EU-Dokument steht nichts, dass es Hinweise oder gar Beweise gebe, dass Menjajlo ganz konkret für die Tat mitverantwortlich sei. Vielmehr wird er einfach als Bevollmächtigter der Präsidialverwaltung für Sibirien genannt.
Angesichts der allgemeinen politischen Lage in Russland könne man «davon ausgehen, dass die Vergiftung von Nawalny nur mit Zustimmung der Präsidialverwaltung möglich war», hält die EU fest. Es gibt auch bei allen anderen Personen auf der Liste nur indirekte Hinweise. Sie werden quasi politisch für die Tat verantwortlich gemacht. Beweise für die persönliche Schuld gibt es nicht.
Werden die Sanktionen Russland treffen?
Allzu schwer wohl nicht. Alle Personen auf der Liste, die auch Militärs und Geheimdienstler umfasst, gehören zu einer Kategorie von Leuten, die kaum ins Ausland reisen und kaum Konten auf ausländischen Banken haben. Die EU macht da sehr viel Symbolpolitik nach dem Motto: Wir nehmen das nicht straflos hin, dass Oppositionelle mit chemischen Kampfstoffen vergiftet werden. Aber vor richtig schlimmen Wirtschaftssanktionen schreckt die EU zurück, es bleibt beim Symbol.
Vor richtig schlimmen Wirtschaftssanktionen schreckt die EU zurück. Es bleibt beim Symbol.
Atmosphärischen Schaden hat die Ankündigung bereits angerichtet, wie die Reaktion von Aussenminister Lawrow zeigt.
Sergej Lawrow erklärte, Russland könnte allenfalls gezwungen sein, den Kontakt mit der EU abzubrechen, falls diese nicht endlich respektvoll mit Russland umgehe. Das ist eine ziemlich harte Drohung. Ich kann mich nicht erinnern, dass sich Lawrow je so scharf in Richtung Europa geäussert hat. Die russisch-europäischen Beziehungen sind durch die Affäre auf einem neuen Tiefpunkt angelangt.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.