«Sie können doch nicht verlangen, dass ich 24 Stunden nicht aufs WC gehe?!», ruft eine Frau in der Nachbarschaft. Sie ist in ihrem Zimmer eingesperrt. Es ist kurz vor Mitternacht. «Nehmen Sie doch einfach eine Schüssel!», weist sie eine andere Frau zurecht. Sie trägt von Kopf bis Fuss weisse Schutzkleidung und arbeitet für die staatliche Seuchenkontrolle.
Es ist eine von mehreren weissen Gestalten, die mit Taschenlampen und Listen an den Wohnhäusern vorbeigehen. Einige Bewohner schauen aus ihren Fenstern und hoffen wohl, dass sie nicht vor der eigenen Tür stehen bleiben.
Wir stehen also in einer Einer-Kolonne vor dem grossen Tor. Die Anmeldung per Gesundheits-App mit Name, ID-Nummer, Geburtsdatum und Telefonnummer. Vor jedem Test werden die persönlichen Daten per QR-Code abgeglichen.
«Bitte zwei Meter Abstand halten und nicht auf den Boden spucken. Das ist für Ihre eigene und die Gesundheit anderer», ertönt es aus den Lautsprechern. Wer positiv auf das Virus getestet wird, wird von der Seuchenkontrolle später zuhause abgeholt werden.
Wie zum Beispiel ein 50-jähriger Mann, der sich zusammen mit seiner Frau in der riesigen Expo-Halle in Schanghai befindet. «Ich fände es besser, zuhause in der Quarantäne zu sein. Da fühlt man sich wohler, sicherer. Wir sind mit tausenden Menschen hier untergebracht. Angeblich hat niemand von ihnen Symptome. Aber was ist eigentlich, wenn jemand irrtümlich hierher geschickt wird? Jemand, der gar kein Covid hat und sich dann hier ansteckt?»
Auf die Frage, was er von der Covid-Politik hält, gibt sich der Mann resigniert. «Die Politik können wir schlecht vorhersehen. Die Regierung bestimmt, wir müssen Folge leisten.»
Doch es ist in den letzten Tagen in Schanghai auch immer wieder zu lautstarken Protesten gekommen. «Wir wollen arbeiten, wir wollen Freiheit», riefen etwa Bewohnerinnen und Bewohner in einem Video, das in den sozialen Medien kursiert.
An der Null-Covid-Politik festzuhalten, ist für die Regierung wichtig. Es geht ja auch um einen ideologischen Wettbewerb mit den USA.
Für besonders viel Empörung sorgten Berichte und Aufnahmen von Kindern und Babys, die in Spitälern untergebracht wurden. Sie wurden positiv auf Covid getestet und durften während der Quarantäne nicht bei ihren Eltern bleiben. Auch klagen viele Bewohnerinnen und Bewohner, dass ihnen die Lebensmittel ausgingen.
Wer vor dem Lockdown nicht genügend eingekauft hat, muss auf die Lieferungen der Nachbarschaftskomitees warten. Doch das kann dauern. Die allermeisten Geschäfte sind geschlossen, private Lieferdienste heillos überlastet.
Zuletzt wurden in Schanghai offiziell 17'000 positive Fälle gezählt. Das mag für westliche Ohren nach wenig klingen. Doch für Chinas Null-Covid-Politik sei jeder Fall einer zu viel, weiss Huang Yanzhong. Er ist Experte für öffentliche Gesundheit der US-Denkfabrik «Council for Foreign Relations» und befasst sich intensiv mit der chinesischen Covid-Politik.
Kehrtwende unwahrscheinlich
«An der Null-Covid-Politik festzuhalten, ist für die Regierung wichtig. Es geht ja auch um einen ideologischen Wettbewerb mit den USA», sagt Huang Yanzhong. Die staatliche Propaganda zeigte während der Pandemie immer wieder genüsslich aufs Ausland, allen vor auf die USA, auf den Westen, üben den eine Covid-Welle nach der anderen schwappte.
Jetzt eine Kehrtwende zu machen und die hohen Zahlen einfach zu akzeptieren, dürfte für Chinas Führung schwierig sein. Würde sie damit doch ihre eigene Politik öffentlich infrage stellen. Trotz Unmut in der Bevölkerung und der Proteste in Schanghai: Derzeit sieht es nicht so aus, als würde die Führung ihre strikte Covid-Politik bald lockern.