Erst mal schweigen, wenn’s brenzlig wird. Diese Taktik verfolgt Kanzler Olaf Scholz schon lange. Aussitzen, mal sehen, was passiert. Lieber nichts sagen als etwas Falsches. Kann man machen. Geht auch oft gut.
Aber nicht in diesem Fall. Da steht der Palästinenser-Präsident mitten in Berlin, im Kanzleramt. Dem Ort, wo es gegenüber Israel ein Versprechen gibt: Unverbrüchliche Solidarität. Für immer. Aus historischer Schuld. Der Holocaust ist ein Verbrechen ohnegleichen. Verübt von den Nationalsozialisten, jahrelang, systematisch, an Brutalität und Menschenverachtung nicht zu überbieten. Sechs Millionen Jüdinnen und Juden werden gefoltert, gequält, ermordet.
«50 Holocausts»
Und an dem Ort, im Kanzleramt, an dem das Versprechen an Israel gehütet wird, vergleicht Abbas den Holocaust mit Angriffen Israels auf die Palästinenser. Israel habe seit 1947 «50 Holocausts» an Palästinensern begangen.
Und Scholz sagt: nichts. Handschlag, Pressekonferenz beendet, tschüss Abbas. Totaler Instinktverlust, der totale Blackout. Umso erstaunlicher, als Scholz vor solchen Treffen gebrieft wird, von Heerscharen politischer Beamter. Der Apparat im Kanzleramt erstellt Dossiers, Sprechzettel, Warnungen. Man weiss: Abbas hat den Holocaust schon früher relativiert, man hätte es ahnen können. Scholz hätte sich vorbereiten können, sich Worte zurechtlegen. Abbas zurechtweisen. Oder gleich ganz rauswerfen können. Nichts dergleichen geschah.
Merkel wäre das nicht passiert
Dieser Fehler wird Scholz noch lange verfolgen. Die Kritik kommt aus der ganzen Welt – und natürlich von der Opposition. Allen ist klar: Angela Merkel wäre so etwas nie passiert. Die ehemalige Kanzlerin war jederzeit hoch konzentriert, vorbereitet, instinktsicher.
Scholz dagegen zeigt massive Konzentrationsstörungen. Fast teilnahmslos hört er Abbas zu. Gedanklich schon oder noch ganz anderswo. Ist auch nicht erstaunlich. Der Kanzler ist unter Druck. Am kommenden Freitag muss er zu einer Steueraffäre aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister aussagen. Heikel. Die Umfragewerte seiner Partei, der SPD, sind im Keller, die persönlichen sowieso. Die Energiekrise, der Krieg in der Ukraine, das Kanzlerhirn qualmt.
Stress lässt alle Menschen Fehler machen. Aber als Kanzler in dieser Frage ist das unverzeihlich. Auch wenn sich Scholz via Twitter unterdessen entschuldigt hat. Klar ist nämlich auch, und das ist wichtig anzumerken: Natürlich war Scholz’ Schweigen kein Einverständnis mit den Aussagen Abbas’. Natürlich ist sich Scholz der Dimension des Holocaust bewusst, gerade auch als Sozialdemokrat. Der Blackout kam einfach im falschen Moment. Das ist bitter. Für Scholz. Aber vor allem für die Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt.