Theoretisch sind bei den Vereinten Nationen alle 193 Staaten gleich. Praktisch sieht es anders aus. Dank ihres Vetorechts sind die fünf ständigen Mitglieder des mächtigsten UNO-Gremiums, des Sicherheitsrats, eine Kaste für sich. Ihre Botschafter sind die Fürsten im UNO-Viertel an New Yorks East River.
Einer von ihnen ist der Statthalter Frankreichs, Nicolas de Rivière. Sein Wort hat hier Gewicht. «Ich und meine Equipe sind äusserst glücklich über die Zusammenarbeit mit der Schweiz im Sicherheitsrat und mit der Schweizer Botschafterin Pascale Baeriswyl. Da gibt es kein Wölkchen am Himmel», findet der 59-jährige Spitzendiplomat sogar.
Schweizer Neutralität «manchmal nützlich»
De Rivière, alles andere als ein Schönfärber, hat keineswegs den Eindruck, die Schweiz sei wegen ihrer Neutralität nur eingeschränkt handlungsfähig: «Wir respektieren die Neutralität. Und manchmal ist es nützlich, dass die Schweiz als Brückenbauerin, als Plattform für Verhandlungen oder dank der humanitären Tradition und des IKRK eine besondere Rolle spielen kann.»
Doch wie steht es mit der Kritik an der Schweiz wegen ihres Unwillens, Wiederausfuhren von Waffen an die Ukraine zu erlauben, mit der angeblichen Zögerlichkeit, Oligarchengelder zu blockieren? «Dazu findet ein Dialog statt. Manchmal versuchen wir, Länder – und zwar längst nicht nur die Schweiz – zu überzeugen, sich zu bewegen.»
Die Schweiz übernahm die EU-Sanktionen. Das zählt
Entscheidend sei aber: Die Schweiz verurteilt den russischen Angriff stets konsequent und klar. «Und sie übernahm die EU-Sanktionen. Das zählt», sagt de Rivière.
Schweiz gilt als «verlässliche Partnerin»
Nicolas de Rivières Einschätzung zur Wahrnehmung der Schweiz in New York ist keine Einzelmeinung. Ähnliches hört man in Gesprächen wieder und wieder. Olof Skoog, früher der schwedische und jetzt der EU-Botschafter bei der UNO, spricht etwa von einer «hervorragenden Kooperation mit der Schweiz».
«Natürlich», so Richard Gowan, der Direktor für UNO-Fragen bei der Denkfabrik International Crisis Group, «lesen UNO-Diplomaten Zeitungen und bekommen Kritik an Schweizer Entscheidungen mit. Doch insgesamt gilt die Schweiz als verlässliche Partnerin der angegriffenen Ukraine.»
Hinzu kommt etwas Entscheidendes: Während fast alle Staaten Europas hinter Kiew stehen und Sanktionen gegen Russland verhängten, ist das global betrachtet völlig anders. Die meisten Regierungen tragen die Sanktionen nicht mit. Und viele erachten den russischen Krieg gegen die Ukraine nicht als das wichtigste weltpolitische Problem.
Der Ruf bleibt unangetastet
Es kommt also ganz auf die Perspektive an. Und die ist auf der grossen UNO-Bühne anders als in der Schweiz und in ganz Europa.
Hierzulande erschrickt man heftig, wenn mal Kritik aus dem Ausland ertönt. Doch was hier als Shitstorm erscheint, ist in New York eher ein Sturm im Wasserglas. Das gilt für Waffenexporte, Oligarchengelder, aber auch den Untergang der Credit Suisse. Der schadet zwar dem Ansehen des Schweizer Finanzplatzes, hingegen kaum dem Ruf der politischen Schweiz.
Botschafter Nicolas de Rivière sagt es so: «Wir haben die Credit-Suisse-Krise mitverfolgt – aber ebenso, wie überzeugend die Schweiz eine Lösung zimmerte.» Man findet in New York dieser Tage kaum jemanden, die oder der die Schweizer Mitgliedschaft im Sicherheitsrat und allgemein in der UNO nicht als Mehrwert empfindet.