Der Konflikt zwischen China und Taiwan droht erneut zu eskalieren. China hat am Sonntag die nächste grosse Militärübung gestartet. 57 Militärflugzeuge und vier Kriegsschiffe waren in der Meerenge der Taiwanstrasse im Einsatz. Das gab das Verteidigungsministerium in Taipeh bekannt.
Chinas Volksbefreiungsarmee sprach ihrerseits von «gemeinsamen Kampfbereitschafts- und Militärpatrouillen sowie realen Kampfübungen». Ziel sei es, die Fähigkeiten der Truppen zu testen und «provokativen Aktionen externer Kräfte und separatistischer Kräfte für eine Unabhängigkeit Taiwans entschlossen entgegenzuwirken.»
Das Manöver begann am Sonntag und dauerte bis in den Montag hinein. Laut Taiwans Regierung gab es Überschreitungen der sogenannten Mittellinie der Taiwanstrasse. Diese gilt als inoffizielle, aber weitgehend respektierte Grenze zwischen China und dem Inselstaat. Taiwan wirft der chinesischen Regierung vor, mit dem Manöver den Frieden und die Stabilität in der Region zu stören.
Die Militärübung überschattet den Besuch einer Delegation von FDP-Politikern aus dem Deutschen Bundestag in Taiwan. Diese sind heute Montag in der demokratischen Inselrepublik eingetroffen.
Die Spannungen zwischen China und Taiwan haben sich jüngst verschärft. Martin Aldrovandi, Auslandredaktor und früherer China-Korrespondent, spricht von einem jahrzehntelangen Auf und Ab in den Beziehungen beider Länder. «Die Verschärfungen der letzten Jahre haben mit dem Amtsantritt der aktuellen Regierung Taiwans unter Tsai Ing-wen 2016 angefangen.».
Ihre Partei ist laut Aldrovandi weitaus China-kritischer als die Vorgängerregierung Guomindang. «Es herrschte damals auch einige Jahre Tauwetter. Es gab wirtschaftliche Annäherung, auch Flugverbindungen wurden aufgenommen.»
Das Ende der vorsichtigen Annäherung
Dass sich die Fronten erneut verhärteten, hatte jedoch auch massgeblich mit der chinesischen Führung unter Xi Jinping zu tun. «Die Regierung in Peking verschärfte ihre Rhetorik, und die Politik unter Xi wurde immer autoritärer – und das in allen möglichen Bereichen», sagt Aldrovandi.
Auch nach dem Besuch der damaligen Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, im August hatte Peking grossangelegte Militärmanöver gestartet. Mit Übungen und verstärkten Einsätzen von Kriegsschiffen und Flugzeugen nahe Taiwan hält China den Druck seither aufrecht.
Signal nach Innen und nach Aussen
Die Führung in Peking betrachtet Taiwan als Teil der Volksrepublik und droht mit einer Eroberung. Mit den Manövern wolle China auch ein Signal nach Innen senden, schätzt Aldrovandi: «In China gibt sehr viele nationalistische Stimmen, die ein hartes Vorgehen gegenüber Taiwan fordern. Ihnen will man zeigen, dass man etwas unternimmt.»
Schliesslich sind die Muskelspiele vor Taiwans Küste auch ans Ausland und insbesondere an die USA gerichtet. Nicht zuletzt haben die Übungen einen ganz «praktischen» Hintergrund: «Mit den Manövern soll das eigene Militär trainiert und Taiwan eingeschüchtert werden», schliesst Aldrovandi.
Taiwan seinerseits versetzen die andauernden Militärmanöver in ständige Alarmbereitschaft. Ausdruck davon: Taipeh verlängerte die Dienstpflicht für junge Männer zuletzt von vier auf zwölf Monate.