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Waffen für die Ukraine: Jetzt oder nie?
Aus News Plus vom 19.04.2024. Bild: Keystone/Evgeny Maloletka
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Schwierige Kriegslage «Die Ukraine ist so bedroht wie kaum seit Beginn des Kriegs»

Der ukrainische Präsident Wolodomir Selenski ringt um Hilfe, fleht um Waffen und mehr Luftabwehrsysteme, damit sich die Ukraine gegen Russland verteidigen kann. In der Tat drohe der ukrainischen Armee an der Front die Luft auszugehen, beschreibt SRF-Korrespondent David Nauer die aktuelle Lage. Er ist gerade von einer Reportagereise aus der Ukraine zurückgekehrt.

David Nauer

Ukraine- und Russland-Korrespondent

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David Nauer ist Ukraine- und Russland-Korrespondent bei SRF TV. Von 2016 bis 2021 war er als Radio-Korrespondent in Russland tätig. Zuvor war er Russland-Korrespondent des «Tages-Anzeigers». Nauer reist seit Beginn des russischen Angriffskriegs regelmässig in die Ukraine.

Hier finden Sie weitere Artikel von David Nauer und Informationen zu seiner Person.

SRF News: Wie steht es aktuell um die Ukraine?

David Nauer: Das Land ist derzeit fast so bedroht wie zu Beginn des russischen Grossangriffs Ende Februar und Anfang März 2022. Es fehlt der Ukraine an Munition – an Artillerie-Munition an der Front, aber auch an Munition für die Luftabwehrsysteme. Ausserdem verfügt die Ukraine bei weitem nicht über genügend Luftabwehr-Gerät, um zumindest die grösseren Städte einigermassen vor russischen Angriffen beschützen zu können. Diese Situation führt im Land selber zu einem Gefühl der relativ dringlichen Bedrohung. Und das ist überall spürbar.

Wie äussert sich dieses Gefühl?

Die Stadt Charkiw beispielsweise ist den Angriffen der Russen praktisch schutzlos ausgeliefert – in der zweitgrössten Stadt der Ukraine lebten vor dem Krieg rund 1.5 Millionen Menschen. Jetzt ist sie fast täglich Ziel von Bombardements. Ziel sind Elektrizitätswerke, aber auch zivile Wohnhäuser. Die Menschen müssen dort – und auch in anderen Städten – wieder damit umgehen, dass sie den nächsten Tag womöglich nicht erleben werden.

Verheerende russische Fliegerbomben

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Legende: Keystone/Kreml

Die Russen setzen seit einigen Monaten immer öfter alte, russische Fliegerbomben ein, die bis zu 1.5 Tonnen schwer sind – mit entsprechend immenser Sprengkraft. Den eigentlich unsteuerbaren Bomben schnallen die Russen Flügel mit einem einfachen Fernsteuersystem um. Damit können die Bomben relativ genau ins Ziel gelenkt werden. Die Bomben können so dutzende Kilometer vor der Front entfernt von russischen Flugzeugen abgeworfen und ins Ziel gesteuert werden. Damit bleiben die russischen Jets meist ausser Reichweite für die ukrainische Flugabwehr. Wird eine ukrainische Stellung an der Front von einer solchen Bombe getroffen, bleibt ausser einem Krater nichts übrig. Auch gibt es keine Vorwarnung vor diesen Bomben – wie das etwa bei Artilleriebeschuss teilweise der Fall ist. Solche Fliegerbomben wurden auch schon auf Wohngebiete in Charkiw abgeworfen, das nur rund 20 Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt liegt.

Wie ist die Situation in den Schützengräben, an der Front?

Bei einem Besuch einer ukrainischen Stellung unweit der Grenze zu Russland erzählte mir ein Soldat sehr eindrücklich, wie es ist, mit den verheerenden russischen Fliegerbomben angegriffen zu werden.

Von den beiden Männern ist nur eine einzige Hand übrig geblieben.

Auf seine Einheit sei eine solche Bombe abgeworfen worden, zwei seiner Kameraden seien getroffen worden. Von den beiden Männern blieb bloss eine einzige Hand übrig – sonst nichts. Solche Berichte und die Erfahrung der totalen Schutzlosigkeit vor diesen Bomben sind schon sehr eindrücklich – und erschütternd.

Sie waren seit 2022 mehrmals in der Ukraine – was ist jetzt anders als früher?

Vor einem Jahr beispielsweise war die Hoffnung auf die ukrainische Gegenoffensive gross – doch wie wir wissen, ist sie gescheitert. Seit vergangenem Herbst sind nun die Russen im Angriff. Sie beschiessen die ukrainischen Stellungen an der Front mit ungeheurer Feuerkraft – und rücken dann mit Infanterie vor.

Den Ukrainern fehlt nicht nur Munition – es fehlt ihnen auch an Soldaten.

Wenn das auch nur sehr langsam geht, sind die Russen doch in stetigem Vormarsch. Auf ukrainischer Seite fehlt ausserdem nicht bloss Munition, es fehlt auch an Soldaten. Denn jene Männer, die noch nicht in der Armee dienen, verspüren wenig Lust, in der aktuell schwierigen Situation in den Schützengraben zu gehen.

Bombenkrater, zerstörte Häuser.
Legende: Wenn eine russische Fliegerbombe einschlägt, bleibt nicht viel übrig. Hier der Bombenkrater und die zerstörten Gebäude nach einem russischen Angriff in einem Dorf in der Nähe von Charkiw. Reuters

Und wie lange hält die Ukraine noch durch?

Das weiss niemand. Sicher ist: Die Ukrainer sind nach wie vor wild entschlossen, sich gegen die Russen zu wehren. Sie setzen dazu jene Mittel ein, über die sie verfügen. So werden derzeit sehr viele Drohnen produziert, die mit Granaten bestückt werden und an der Front dann russische Fahrzeuge, Panzer und Soldaten angreifen.

Wenn nicht sehr bald sehr viel westliche Militärhilfe kommt, dann steigt die Gefahr russischer Durchbrüche.

Die Ukrainer versuchen alles, um durchzuhalten. Doch es besteht die akute Gefahr, dass die Front irgendwo einbricht und die Russen tatsächlich vorwärts marschieren können. Und wenn nicht sehr bald sehr viel westliche Militärhilfe in die Ukraine kommt, dann steigt die Gefahr russischer Durchbrüche.

Das Gespräch führte Romana Kayser.

«Besser die Russen schon in der Ukraine stoppen»

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Seit Monaten zögern Nato, EU und USA, der Ukraine die dringend benötigte Militärhilfe rasch zu liefern. «Noch vor einigen Monaten war die Lage im Westen tatsächlich zu wenig ernst eingeschätzt worden. Doch inzwischen fehlt eindeutig der Wille, mehr zu tun», sagt Fredy Gsteiger, der sich bei SRF mit Sicherheitspolitik befasst. Dabei hätten die westlichen, demokratischen Länder vor allem ihre eigene Bevölkerung im Blick – und in einigen Ländern bröckelt der Wille in der Bevölkerung, mehr zu tun für die Ukraine.

Zudem: «Man müsste der Ukraine Waffensysteme abgeben, von denen man überzeugt ist, dass man sie für die eigene Sicherheit braucht», so Gsteiger. «Allerdings hat die Ukraine diese Systeme derzeit noch nötiger – und es wäre im Interesse des Westens, die Russen dort zu stoppen. Denn dann braucht man diese Systeme später nicht hier.»

Sollte Russland die Ukraine tatsächlich überrennen, wäre dies für den Westen ein Desaster: «Es wäre eine Desavouierung der Supermacht USA, der Nato, der EU. Sie alle zusammen hätten es dann nicht geschafft, dafür zu sorgen, dass die Ukraine nicht untergeht – ein beispielloses Signal an die Autokraten der Welt: Der Wille des Westens und seine politische Kraft sind zu schwach, um einen Gegner wie Russland in die Schranken zu weisen.»

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SRF 4 News aktuell, 19.4.2024, 17:15 Uhr ; 

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