Die tunesische Bevölkerung zeige der Politik die kalte Schulter, sagt Neji Jelloul, ehemals tunesischer Erziehungsminister und Präsident einer kleinen Partei. Dies verdeutliche auch die rekordtiefe Stimmbeteiligung von unter zwölf Prozent bei den letzten Wahlen fürs nationale Parlament.
«Die tunesische Bevölkerung glaubt nicht mehr, dass sie Politik durch Wahlen verändern kann», sagt Jelloul. Seit der Revolution von 2011 habe das Land einen dramatischen Niedergang erlebt.
Es sei immer tiefer in die politische und wirtschaftliche Krise geraten. Die politischen Parteien und das Parlament hätten versagt. Inzwischen verbinde eine Mehrheit der Bevölkerung die Demokratie mit der aktuellen Misere.
Knappe und teure Nahrungsmittel
Am deutlichsten spüren die Tunesierinnen und Tunesier die wirtschaftliche Misere beim täglichen Einkauf. Vor Bäckereien bilden sich oft lange Schlangen, an vielen Orten gibt es bereits gegen Mittag kein Brot mehr. Auch Grundnahrungsmittel wie Milch oder Weizenschrot werden knapp.
Viele Leute plagt gegen Ende Monat regelmässig die Sorge, ob das Geld noch für das Nötigste reicht. Die Inflation ist hoch, denn Tunesien muss immer mehr Lebensmittel aus dem Ausland importieren. Der Import von Weizen zum Beispiel erreichte im letzten Jahr nach einer Missernte einen neuen Rekord.
Klimawandel und hausgemachte Probleme
Die schlechten Ernten in Tunesien seien auch eine Folge des Klimawandels, sagt Aram Belhaj, Ökonomiedozent an der Universität Carthage. Hinzu kämen hausgemachte Probleme: «Tunesien hat zunehmend Mühe, Lebensmittelimporte zu finanzieren.» Dazu kämen Probleme bei der Logistik: zu wenig Kapazitäten für die Lagerung von Gütern sowie Schwächen im Vertriebssystem.
Tunesien steckte schon beim Sturz der Ben-Ali-Diktatur Anfang 2011 in einer Wirtschaftskrise. Diese hat sich seither verschärft, gleichzeitig hat die Verschuldung zugenommen.
Ein Drittel des Staatshaushaltes gibt Tunesien für die Löhne des Staatspersonals aus, ein weiteres Drittel kostet der Schuldendienst. Auch die Subventionen für Lebensmittel wie Weizen, Milch oder Zucker kosten immer mehr.
Nationalbank blutet aus, Inflation steigt
Während Jahren hatte die tunesische Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds IWF über einen neuen Kredit verhandelt. Er verlangte den mittelfristigen Abbau von Subventionen und einen Umbau der Staatsfirmen. Doch Präsident Kaïs Saïed hat diese Vereinbarung abgelehnt: Sie sei ein Diktat des IWF.
Die Devisenreserven der Nationalbank sinken, ebenso ist der tunesische Dinar immer weniger wert.
Nun soll die tunesische Nationalbank auslaufende Kredite mit Geld aus ihren Reserven zurückzahlen, wie das Parlament kürzlich beschlossen hat. Die Bank könnte auch die Notenpresse anwerfen, was die internationale Kreditwürdigkeit Tunesiens allerdings weiter schwächen werde, wie Ökonom Aram Belhaj betont.
«Die Devisenreserven der Nationalbank sinken, ebenso ist der tunesische Dinar immer weniger wert.» Dadurch werde die Inflation in Tunesien in die Höhe getrieben. Als Folge davon könnten die internationalen Ratingagenturen Tunesien weiter zurückstufen. Das alles macht den Import von Lebensmitteln noch teurer.
Ein Ende der Versorgungskrise in Tunesien ist derzeit nicht absehbar.