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Selenski bei Biden Die unerfüllten Hoffnungen der Ukraine

Zweimal wurde das Treffen im Weissen Haus diese Woche nach hinten verschoben. Beide Male auf Wunsch der US-Seite. In den Tagen des Abzugs der US-Truppen aus Afghanistan steht die Ukraine deutlich nicht an erster Stelle auf der Prioritätenlisten der US-Aussenpolitik. Das Timing des ukrainischen Präsidenten für das Treffen, bei dem er für mehr Unterstützung im Kampf gegen Russland weibeln wollte, hätte ungünstiger nicht sein können. Dabei hat Wolodimir Selenski zwei Jahre darauf gewartet.

Schwacher Trost für Selenski

Ganz mit leeren Händen wird Selenski nicht nach Kiew zurückkehren. So haben die USA schon kurz vor dem Treffen der Ukraine neue 60 Millionen US-Dollar an militärischer Unterstützung zugesichert – für die Verteidigung im Kampf der von Russland unterstützten Separatisten im Osten der Ukraine.

Doch in seinen beiden Kernanliegen ist Selenski bei seinem Besuch in Washington keinen Schritt weiter gekommen. Weder scheint ein beschleunigter Nato-Beitritt der Ukraine absehbar, noch scheint ernsthafter Widerstand gegen die Nordstream-Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland kurz vor Vollendung des Projekts realistisch.

Rote Linie des Kremls

Joe Biden machte in den vergangenen Monaten deutlich, dass bei beiden Anliegen seitens der Ukraine die USA eigene Interessen gegenüber anderer Staaten höher gewichten. Im Fall des Nato-Beitrittes wird von Joe Biden nach aussen das nachvollziehbare Argument aufgeführt, die Ukraine sei noch nicht bereit dazu.

Doch im Kern handelt es sich hierbei um ein Scheinargument. Denn in erster Linie ist ein Nato-Beitritt nicht ernsthaft auf dem Tisch, um Russland nicht vor den Kopf zu stossen. Ein Nato-Beitritt der Ukraine würde den heute mühsamen Dialog mit dem Kreml in Zukunft schlicht unmöglich machen.

Berlin wiegt schwerer in Washington

Kurz vor Vollendung der Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland hört sich auch in diesem Fall das Argument von Biden überzeugend an, dass das Projekt schon fast fertig gebaut gewesen sei, als er ins Präsidentenamt gewählt worden sei. Doch damit macht es sich US-Präsident Biden zu leicht. Als Vize-Präsident unter Barack Obama war er der Beauftragte für die Ukraine.

Im Kern sind US-Präsident Biden jedoch auch hier die Beziehungen zu einem anderen Staat schlicht wichtiger, als die Anliegen der Ukraine. Im Fall der Gaspipeline geht es um Deutschland, dessen Verhältnis zu den USA unter Donald Trump gelitten hat. Dies möchte Joe Biden nun nicht durch Sanktionen erneut belasten. Für die Ukraine ist es ein schwerer Dämpfer. Nachdem man sich in Europa im Stich gelassen fühlt, muss man nun auch alle Hoffnungen an die USA diesbezüglich endgültig ad acta legen.

Der harte Wind der Realpolitik

Sieben Jahre nach dem Machtwechsel in Kiew, der darauffolgenden Annexion der Krim-Halbinsel und den anhaltenden Kämpfen in der Ostukraine weht dem ukrainischen Präsidenten ein harter realpolitischer Wind aus dem Westen entgegen. Um sein wichtigstes Wahlversprechen einlösen zu können, den Krieg im Osten des Landes zu beenden, fehlt es dem ukrainischen Präsidenten im Land selbst an Ressourcen – und von ausserhalb an Unterstützung.

Die Hoffnungen, zu seiner Amtszeit an der Lage grundsätzlich etwas verändern zu können, scheint der ukrainische Präsident aufgeben zu müssen. Dazu spielt der Status-Quo zu stark dem Kreml in die Hände. Daran ändert auch das gemeinsame Statement der beiden Staatsoberhäupter nichts, in welchem betont wird, die Beziehungen zwischen der Ukraine und den USA seien so stark wie nie zuvor.

Luzia Tschirky

Russland-Korrespondentin

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Luzia Tschirky ist SRF-Korrespondentin für die Region Russland und die ehemalige UdSSR.

SRF 4 News, 2.9.2021, 1 Uhr

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